So recht eigentlich weiss ich mittlerweile nicht mehr, was ich von der israelisch/palästinischen Frage/Lage halten soll. Nicht, dass ich es jemals gewusst hätte. Mir standen die Juden emotional immer näher als die Palästinenser, und nach dem Hamas-Angriff noch viel mehr. Jetzt allerdings, wo ich immer mehr mitkriege von dem, was die rechtsradikale Regierung Netanjahu anrichtet (wer Trump auf seiner Seite hat, vertritt alles, wirklich alles, was ich zutiefst verabscheue), geraten meine Emotionen ins Wanken. Und als ich nun lese, dass Zachary und Katharina F. Gallant sich als Brückenbauer verstehen, bin ich mehr als skeptisch, denn vom Brückenbauen halte ich gar nichts, vielmehr denke ich heutzutage (das war einmal ganz anders), dass das, was nicht zusammenpasst, getrennt bleiben sollte (von Ehepaaren, die sich nicht ertragen, zu Kulturen, die inkompatibel sind). Dies also die Ausgangslage, doch jetzt zum Buch.
"Wir schreiben dieses Buch, weil wir immer noch daran glauben, dass ein konstruktives Gespräch auf der Grundlage von Fakten möglich ist, wenn es uns gelingt, die belastete Rhetorik, die polemischen Tweets und die 10-Wort-Antworten hinter uns zu lassen." Ich teile diese Auffassung nicht, denn wenn Fakten eine Rolle spielen würden, könnten narzisstische Psychopathen weder in der Politik noch in der Wirtschaft Spitzenpositionen einnehmen, doch vielleicht täusche ich mich ja. Ich lese dieses Buch, weil ich mich informieren will.
Zachary und Katharina F. Gallant argumentieren, dass "Frieden im Nahen Osten unmöglich ist, solange wir die Zusammenhänge nicht vollständig verstehen." Nur eben: Etwas zu verstehen heisst noch lange nicht, auch entsprechend zu handeln. Zudem: Tout comprendre, c'est tout pardonner. Nichtsdestotrotz, einen Versuch ist es allemal wert.
Zum ersten Mal gestockt habe ich, als ich in in der Einleitung über die Hamas-Angriffe vom 7. Oktober 2024 las: "Die Hamas hatte nicht militärische Ziele im Visier, nicht einmal beliebige zivile Ziele, sondern eben solche Personen, die dafür bekannt waren, dass sie sich aktiv für Frieden und ein konstruktives Miteinander von israelischen und palästinensischen Menschen einsetzten." Obwohl ich mich nicht uninformiert glaubte, war mir das nicht wirklich klar. Dieses Buch liefert einige solcher notwendiger Klärungen.
An insgesamt 7 Behauptungen wird aufgezeigt, dass es sich dabei um Irrtümer handelt. Das geht von "Jüdische Menschen als Gäste auf der Flucht vor den Weissen" bis zu "Geldmittel als Heilmittel bei Traumata." Es ist ein sehr detaillierte Abhandlung, für deren Beurteilung mir die historischen Kenntnisse fehlen, doch nur schon die Tatsache, dass jüdische Menschen bereits vor der Gründung Athens im Nahen Osten gelebt haben, verschiebt meine Wahrnehmung beträchtlich, war ich doch bisher davon ausgegangen, dass die Gründung des Staates Israel eine Folge des Holocaust gewesen sei.
"From the River to the Sea". Überlebenskampf zwischen Jordan und Mittelmeer ist ein sehr dichter Text, der nicht nur breit informiert, sondern auch Stellung bezieht, dabei jedoch (jedenfalls für mein Gefühl) eine Toleranz walten lässt, die ich nicht nur problematisch, sondern grundlegend falsch finde. Konkret: "Einige, der uns in Freundschaft verbundenen Menschen haben an den Anti-Israel-Kundgebungen 2023 und 2024 in Deutschland, Frankreich und den USA teilgenommen, haben sich mit Leuten umgeben, die "Wir sind alle Hamas" skandierten, und wer weiss, vielleicht haben sie es in der Hitze des Gefechts auch skandiert. Auch wenn sie mit Leuten zusammenstehen, die zur buchstäblichen Vernichtung des jüdischen Volkes aufrufen, schätzen wir diese Menschen."
Auch wenn mir dafür jegliches Verständnis abgeht, für Zachary und Katharina F. Gallant ist dies zentral, denn dieses Buch "ist ein Versuch, von einem Ort zurückzukehren, an dem wir einander nicht hören können. Und so hoffen wir, dass unsere Freundschaft stärker sein wird als die gegenwärtige Trennung durch ein Umfeld, das von Rassismus, Kolonialismus und Hass geprägt ist und das das Existenzrecht jüdischer Menschen auf gefährliche Weise in Frage stellt."
Selten war mir deutlicher, dass es bei dem Israel/Palästina-Konflikt so recht eigentlich um die Frage geht, ob "jüdische Menschen überhaupt irgendwo auf der Welt ein Existenzrecht" haben? Und dass auf diese Frage ernsthaft einzugehen, etwas viel Grundsätzlicheres bedeutet, als was seit Jahren politisch diskutiert wird. Zu den beeindruckendsten Passagen in diesem vielfältig aufschlussreichen Werk gehört ein längeres Interview mit Susie
Linfield von der New York University. worin sie auch den palästinensischen Dichter Mahmoud Darwisch zitiert, der meinte, die Palästinenser hätten Glück, dass Israel ihr Feind sei. "Ich habe keine Illusionen. Das Interesse an der palästinensischen Frage ist in Wirklichkeit nur ein Spiegelbild des Interesses an der jüdischen Frage."
"From the River to the Sea". Überlebenskampf zwischen Jordan und Mittelmeer ist auch ein Buch darüber, dass allzu viele Menschen offenbar nicht fähig sind, ohne jüdische Sündenböcke auszukommen. Es ist dieser (unser) Charakterfehler, der ein friedliches Nebeneinander verunmöglicht.
Zachary Gallant
Katharina F. Gallant
"From the River to the Sea"
Überlebenskampf zwischen Jordan und Mittelmeer
Westend Verlag, Neu Isenburg 2025
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