Sunday, 13 April 2025

Nord Stream

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Dieses Buch handelt hauptsächlich davon, wie deutsche Politiker Wladimir Putins Komplizen wurden. Zu diesen Politikern gehören Erwin Sellering, Helmut Schmidt, Günter Verheugen, Sahra Wagenknecht, Alexander Gauland, Wolfgang Clement, Henning Voscherau, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Manuela Schwesig, Angela Merkel und Olaf Scholz. Wie sie denken, offenbart sich nicht in dem, was sie sagen, sondern in dem, wie sie sich verhalten.

Nord Stream. Wie Deutschland Putins Krieg bezahlt liest sich wie ein Thriller, der einen nicht nur packt, sondern auch aufklärt, nicht nur über "betonummantelte Stahlrohre", sondern auch über einen Menschenschlag, der ausschliesslich von Eitelkeit und eigensüchtigen Motiven geprägt scheint. Ständig geht mir Paul Valéry durch den Kopf: "Politik ist die Kunst, die Leute daran zu hindern, sich um das zu kümmern, was sie angeht."  

Gazprom kommt zur Sprache, der Krieg gegen die Ukraine, die langfristigen Strategien des russischen Regimes, Lügen und Manipulationen, gebrochene Versprechen ... Alles, was kennzeichnend für die Politik ist. Was die Journalisten Steffen Dobbert und Ulrich Thiele hier vorlegen, macht einen die Welt anders sehen. Illusionsloser. Und das ist hilfreich.

Nord Stream. Wie Deutschland Putins Krieg bezahlt ist wesentlich ein Buch über Gazprom, ein Konzern, der aus Wirtschaft, Politik und Geheimdienst besteht. "Gazprom ist eine politische Firma", so einer der Chefs der unzähligen Gazprom-Tochtergesellschaften. Dass dieses postsowjetische Hybrid-Gebilde nicht für faire Geschäftsbeziehungen steht, dürfte so recht eigentlich jedem klar sein. War es aber eben nicht.

Es sind vor allem die vielen aussagekräftigen Details, die mir dieses Werk wertvoll machen. Etwa über die Aktivitäten russischer Hacker. Oder über die Spendenfreudigkeit der Schweriner Staatskanzlei, "also die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler". Oder dass die Nord Stream AG im schweizerischen Zug gemeldet ist. Wenn dann allerdings von einem Silvesterabend in den Schweizer Alpen berichtet wird ("Wie es die Tradition will, wird es Raclette geben, mit Schweizer Käse, gross wie ein halbes Wagenrad."), wundert man sich als Schweizer schon etwas, denn Raclette heisst der Käse.

Ich lese dieses spannende und aufschlussreiche Sachbuch mit dem gegenwärtigen Chaos im Hinterkopf, das die nordamerikanischen Republikaner ohne jegliche Not vom Zaun gebrochen haben. Dabei fällt vor allem auf, wie raffiniert, fintenreich, verlogen und manipulierend das russische Regime unterwegs ist, dabei differenziert und rational argumentierend, was man vom amerikanischen Präsidenten, dessen Wortschatz sich auf "beautiful" and "great" zu beschränken scheint, beim besten Willen nicht sagen kann. Mit anderen Worten: Putin weiss, was er tut; der Florida-Golfer definitiv nicht. Und die Deutschen, dies zeigt dieses Buch eindrücklich, offenbar auch nicht.

Man lernt nicht nur einiges über die Verbohrt- und Unbedarftheit deutscher Politiker, man erfährt auch einiges darüber, wie das russische Regime agiert. Wer sich ohne Scheuklappen das kalte, rücksichtslose, russische Vorgehen ansieht (man denke etwa an den kaltblütigen Mord an Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten), wird nicht um die Erkenntnis herumkommen, dass die Moral, die Russland regiert, und die Moral, die in Westeuropa herrscht, nicht kompatibel sind. Anstelle des einfallslosen Aufrufs zum Miteinander-Reden und Brücken-Bauen, dessen sich Politiker, Kirchenvertreter und sogenannte Kulturschaffende bedienen, wäre es gescheiter die Werte-Unterschiede zu akzeptieren, und getrennt zu bleiben.

Nord Stream. Wie Deutschland Putins Krieg bezahlt ist ein Lehrstück über Politik. in der es, wie überall sonst auch, um Vertrauen geht, das Frank-Walter Steinmeier in einem Essay, den er als Aussenminister geschrieben hat, "als wichtigstes Element der europäisch-russischen Energiepartnerschaft benennt." Dafür erhält er Putins Lob, der sich zweifellos an der Naivität Steinmeiers erfreute. Es sind solche Aspekte, die mich letztlich stärker beschäftigen als die Ehrlosigkeit der Politiker, denn so verschieden von diesen sind wir alle nicht. 

Dieses Buch dokumentiert, "wie Geld aus Russland deutsche Behörden, Kultureinrichtungen, Sportvereine, Journalisten, Segelregatten, Orchester, Grundschulen, wissenschaftliche Institute, einen Freizeitpark und eine landeseigene Stiftung zum verlängerten Arm des Kreml wurde." Die Erdgas-Falle (neben den 104 Milliarden Euro, seit 2014, kamen noch Kosten für Öl und Kohle hinzu) war das Ergebnis strategischer Korruption, auf die die Bundesrepublik, im Gegensatz zu Polen, reingefallen ist. Viele der dafür verantwortlichen Politiker sind nach wie vor im Amt. Wer glaubt, wir würden aus der Geschichte klüger, wird wieder einmal eines Besseren belehrt.

Fazit: Dringend nötige, überaus gelungene politische Aufklärung. 

Steffen Dobbert / Ulrich Thiele
Nord Stream
Wie Deutschland Putins Krieg bezahlt
Klett-Cotta, Stuttgart 2025

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