Sunday 8 September 2019

Keine Kompromisse

Lee Child, 1954 im englischen Coventry geboren, studierte Jura und arbeitete anschliessend zwanzig Jahre lang beim Fernsehen. 1995 gab er alles auf, zog in die USA und begann seine Jack-Reacher-Thriller zu schreiben, die zu internationalen Bestsellern wurden. Keine Kompromisse ist Buch Nummer 20.

Jack Reacher ist unterwegs nach Chicago. Als der  Zug in einer Kleinstadt namens Mother's Rest anhält, beschliesst er aus einer Laune heraus auszusteigen. Am ansonsten verlassenen Bahnhof spricht ihn die Privatermittlerin Michelle Chang an, die ihn für ihren Arbeitskollegen Keever hält. Doch dieser bleibt verschwunden, nur eine Notiz mit dem Vermerk '200 Tote' hat er hinterlassen. Reacher beschliesst, Michelle Chang bei der Suche nach ihrem Kollegen zu helfen. Auf ihre Frage, weshalb er ihr helfe, antwortet er: "Ich finde, dass alle Leute einander helfen sollten."

Die beiden merken bald, dass sie unerwünscht sind, dass einige Leute in dieser Kleinstadt sie weghaben wollen. Die Hinweise verdichten sich, dass da einiges nicht mit rechten Dingen zugeht, was Chang und Reacher zunehmend motiviert, sich auf diesen Kampf einzulassen. Und zwar gemäss Reachers Philosophie: "Die einzigen Kämpfe, die man wirklich gewinnt, sind die, in die man sich nicht verwickeln lässt." 

Nicht, dass er sich selber immer daran halten würde. "Chang sagte: 'Wenn wir hier lebend rauskommen wollen, sollten wir sie nicht provozieren, glaube ich.' 'Da bin ich anderer Meinung', erwiderte Reacher." Ihre Suche nach Keever bringt sie auch mit dem Wissenschaftsjournalisten Westwood zusammen, von dem beziehungsweise von einer seiner Quellen sie auch vom Deep Web erfahren, in dem sich unter anderem am Selbstmord Interessierte austauschen und Snuff Filme bestellt werden können.

Wie schafft es dieser Lee Child bloss, zwanzig spannende (ich habe nicht alle gelesen, aber doch einige) Jack Reacher-Geschichten zu schreiben? Eine, zwei vielleicht auch drei oder vier,  sicher, das geht, aber zwanzig! Möglicherweise auch deswegen, weil Reacher immer sehr systematisch vorgeht. Und sein Kreator Child ein genauer, ja, ein sehr genauer, sich Fragen stellender Beobachter ist, dem deswegen auch immer Dinge auffallen, die die meisten nie wahrnehmen. 

Hier ein Beispiel: "Der in dem Hardcover Buch liegende Zettel war unbeschriftet bis auf eine einzelne hingekritzelte Zahl 4. Die eine Zahl von bescheidenem technischen Interesse und vor allem dafür bekannt, dass sie die einzige Zahl des Universums darstellte, die im Englischen wie im Deutschen die Zahl ihrer Buchstaben angab: four/vier."

Dass Reacher ein cooler Typ ist, bei dem sich systematisches Vorgehen und Intuition kongenial ergänzen ("Es war besser, sich nicht zu sehr zu konzentrieren und das Unterbewusstsein arbeiten zu lassen."), weiss jeder, der schon mal zu den Büchern von Lee Child gegriffen hat. Und diejenigen, die das bislang noch nicht getan haben, wissen es jetzt auch.

Keine Kompromisse besticht über dies durch seinen immer mal wieder aufschimmernden intelligenten Witz. So werden drei Kerle, die Reacher, Chang und einer dreiköpfigen Familie ans Leder wollen, so beschrieben: "Der Staatsanwalt in Maricopa County würde sie zweifellos als Eindringlinge bezeichnen. Ein bewaffneter Überfall in einer exklusiven, bewachten Wohnanlage im Nordosten der Stadt hat heute Abend ein tragisches Ende genommen. Filmbericht um 23 Uhr. Die Cops würden sie Täter nennen, ihre Anwälte sie als Mandanten bezeichnen, Politiker würden von Abschaum sprechen, Kriminologen von Soziopathen, Soziologen würden sie als missverstanden charakterisieren."

Keine Kompromisse ist nicht nur ein temporeicher, cleverer und informativer Thriller, sondern auch eine Liebesgeschichte. Da war ein Könner am Werk!

Lee Child
Keine Kompromisse,
Blanvalet, München 2019

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