Wednesday 6 April 2022

Der kultivierte Gärtner

Der erste Eindruck: Ein edel gestaltetes Buch, das gut in der Hand liegt, die kunstvoll gestalteten und angeordneten Grafiken, die fast auf jeder Doppelseite anzutreffen sind, eine ästhetische Augenweide, die das Herz jubeln lässt.

Informativ und unterhaltend will der Band sein, so der Autor, und das ist er auch. Überdies machte er mich auch immer mal wieder schmunzeln. "Der Gärtner ist ein freier Mensch, der seine Zeit für die Gestaltung des eigenen Nutz- und Ziergartens und damit für die  Entdeckung seiner selbst entdecken kann. Im heimischen Grün mag er seine Befriedigung finden, die wieder positiv auf seine Umwelt wirkt." Garten-Therapie als ein weiteres Angebot auf dem Markt der Therapien? Unbedingt, und eine für alle Interessierten ausgesprochen nützliche, auch wenn der Ausdruck Therapie sich nicht wirklich aufdrängt, es geht mehr um eine Lebenseinstellung, ja, um eine Lebensphilosophie.

Das zeigt sich etwa im Rat, den Auguste Rodin 1902 dem jungen Rilke gibt, der gerade Frau und Tochter verlassen hatte, "um in Paris zu sich selbst zu finden": Il faut travailler, rien que travailler. Et il faut avoir patience. Dass ohne Anstrengung so ziemlich gar nichts geht, gehört zu den leitenden Gedanken dieses Werkes. Und dass Beharrlichkeit und Disziplin vonnöten sind, so man denn ein erfülltes Leben erfahren will. "Die Pflanze verzeiht keine Pflegefehler."

Stefan Rebenich, Professor für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte an der Universität Bern, schreibt wie ein strenger, von seiner Mission beseelter Lehrer: "Geniessen kann man die Gaben der Natur jedoch nur dann richtig, wenn die Vielfalt des Möglichen durch planende Voraussicht gestaltet wird: Es braucht individuelle Entwürfe, die nicht von der Stange zu haben sind; sie müssen selbst erarbeitet und umgesetzt werden." Zudem: "Alle Freude aufs Gartenjahr bezweckt dabei nichts, wenn sie nicht mit einem unstillbaren Verwirklichungsdrang einhergeht. Die Lust am Garten muss Sie bereits am frühen Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen erfassen, und die Leidenschaft für die Arbeit in Beet darf Sie bis zum Abend nicht verlassen."

Der kultivierte Gärtner vermittelt so recht eigentlich eine Grundanleitung für ein erfülltes Leben. lehrt es uns doch: "Nichtstun ist keine Option. Um einen Garten muss man sich kümmern; und zu bestimmten Zeiten ist selbst in absichtlich verwilderten Gärten ein entschiedenes Eingreifen, ein kräftiger Rückschnitt oder eine mutige Verpflanzung notwendig. Die Pflege des Gartens, und sei er noch so klein, ist eine Übung, individuelle Verantwortung für Umwelt und damit zugleich für die Gesellschaft zu übernehmen."

Gartenarbeit setzt Gestaltungswillen wie auch einem ausgeprägten Sinn für Ordnung und Ästhetik voraus. Gärtner, so scheint mir, werden angetrieben von den Dingen wie sie sein sollen, und nicht wie sie sind. Dies setzt natürlich grosses Natur-Wissen voraus. "Es wird Momente raschen Wandelns und gezielter Erneuerung geben, aber auch Phasen geduldigen Zuwartens und gewünschter Stagnation." Genaues Hinsehen und sensibles Herausspüren, was Not tut, ist nicht nur für den Gartenbau, sondern auch für die eigene Person wesentlich.

Die in diesem Buch versammelten Essays zeichnen sich  nicht zuletzt durch ihre Vielseitigkeit aus. Das geht von nützlichen Hinweisen zur Ratgeberliteratur zu Viren im Garten, von der Bedeutung des Baums in England ("Mit seiner Hilfe inszenierte die englische Elite auf weitläufigen Landgütern ihren gegenwärtigen und zukünftigen Herrschaftsanspruch.") zu erhellenden Ausführungen über Paul Klees abstraktes Gemälde Gartensiedlung ("... Kunst gibt für Klee nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.").

Fazit: Eine unterhaltsame und überaus nützliche Anleitung fürs Leben.

Stefan Rebenich
Der kultivierte Gärtner
Die Welt, die Kunst und die Geschichte im Garten
Klett-Cotta, Stuttgart 2022

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