Diese Essaysammlung von Bruno Meier und Denise Schmid vom Verlag Hier und Jetzt soll erfreuen und nützen und will mehr sein "als die immer gleichen Mythen und Klischees zur Pflege eidgenössischer Denkschablonen", wie sie im Vorwort schreiben. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis macht nicht nur neugierig, sondern auch klar, dass man beim Lesen keiner Chronologie folgen muss, sondern sich rauspflücken kann, worauf man gerade Lust hat. Ich beginne mit "Biografien – oder weshalb sie sich verkaufen." Der Titel ist irreführend, denn natürlich wissen die beiden nicht, weshalb sich Biographien verkaufen (das kann man schlicht nicht wissen, denn auf Warum-Fragen, die das menschliche Verhalten betreffen, gibt es bestenfalls Mutmassungen, schliesslich ist der Mensch viel zu komplex, um sich selber zu verstehen), stattdessen informieren sie uns, welche Lebensgeschichten sich gut verkaufen, und welche weniger. Noch etwas genauer: Sie lassen uns an ihrer Erfahrung aus 25 Jahren Verlagsarbeit teilhaben. Und das ist interessant und aufschlussreich.
So recht eigentlich ist 25 x die Schweiz eine informative, originelle und überaus anregende Verlagsgeschichte, gut geschrieben und oft zum Schmunzeln einladend. Für jemanden wie mich, für den die Historie im Wesentlichen der zwar verständliche, aber auch irgendwie eigenartige Versuch ist, vollkommen disparate Ereignisse unter einen Hut zu bringen (und dabei ganz, ganz viel aussen vor zu lassen), und der mit den Büchern des Hier und Jetzt Verlages nicht vertraut ist, erweist sich dieses Buch als wahre Fundgrube. Das liegt auch daran, dass ich erst jetzt im Alter auf meine nähere Umgebung und die Schweiz neugierig geworden bin.
25 x die Schweiz ist vielfältig lehrreich, was auch an der Themenbreite liegt, die von der Gründung der Universität Basel vor mehr als 550 Jahren (eine der ersten Universitäten in Europa) über die Hotelpaläste, von denen die meisten zwischen 1870 und 1910 entstanden, bis zu den Sterbehilfeorganisationen reicht. Es liegt aber auch daran, dass Bruno Meier und Denise Schmid zeigen, dass Geschichte sehr unterhaltsam sein kann.
Erstaunlich fand ich (wie gesagt, für mich ist die Schweiz, obwohl ich hier aufgewachsen bin, irgendwie Neuland), dass es nirgends sonst derart viele Museen auf so engem Raum gibt. Wenn man es jedoch recht bedenkt, so ist das so erstaunlich nun auch wieder nicht, denn letztlich ist dies ja auch nichts anderes als eine Variante der Geldanlage, und davon verstehen die Eidgenossen bekanntlich einiges. Vielleicht verfügen sie aber auch über ein ausgeprägtes Sammeltalent. Dass es an der Kunstbegeisterung liegen könnte, kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.
Vielfältig Verblüffendes lernt man in diesem Buch. Für mich gehört dazu, dass die Schweiz viele Nobelpreisträger (die meisten pro Kopf) hervorgebracht hat, doch keine herausragenden klassischen Musiker. "Wer kennt noch den in Lachen und Schwyz aufgewachsenen Joachim Raff (1822-1888), Komponist von fünf Opern, elf Symphonien und unzähligen weiteren Werken?" Ich!, jubelt es stolz in mir. Zugegeben, das ist reiner Zufall, denn weder kenne ich mich mit klassischer Musik aus, noch wusste ich, dass Raff Schweizer war. Unverzüglich greife ich zu seiner Symphonie Nummer 9.
"Die Schweiz ist kurz gesagt ein stockbürgerliches Land", konstatieren die Autoren von "Wer regiert die Schweiz". Doch worin liegt der wirtschaftliche Erfolg dieses kleinen Landes ohne nennenswerte Rohstoffe begründet? "... eine Mischung aus Glück und Verstand, solidem Bildungswesen, Rechtssicherheit, sozialem Frieden, einem offenen politischen System mit wirtschaftsfreundlichen Strukturen und der Lage mitten im brummenden Wirtschaftsraum Europas." Wie ein offenes politisches System (was auch immer das sein mag) und Rechtssicherheit zusammengehen, ist mir allerdings ein Rätsel.
Die Schweiz sei ein fragiles Gebilde, lese ich, umso erstaunlicher also, dass es die zahlreichen Gräben und Spaltungen im Verlaufe seiner Geschichte überstanden habe. In der Tat! Allein die verschiedenen Sprachen, die ja mit einer jeweils eigenen Mentalität einhergehen, machen ein friedliches Zusammengehen nicht ganz einfach. Ob das allerdings als grossartige Integrationsleistung gesehen werden sollte, da bin ich mir nicht so sicher. Ich selber halte das Schweizer Modell eher für eine Form des weitestgehend indifferenten Nebeneinander, hauptsächlich verbunden durch wirtschaftliche Vorteile.
Mein Lieblingsessay in diesem Band ist "Das Birchermüesli: Weltanschauung zum Frühstück." Es handelt von den drei Schweizer Nationalspeisen Käsefondue, Rösti und Birchermüsli, wobei mich die Charakterisierung des Käsefondue – "eine schwer im Magen liegende Käsesuppe, die mit Brot verzehrt wird"; "die eigensinnige Schweizer Kalorienbombe" – Tränen lachen liess.
25 x die Schweiz ist eine sehr ansprechende Verlagsgeschichte, die mir anhand zahlreicher, die Neugier weckender Bücher Aspekte der Schweizergeschichte zeigt, über die ich mir noch gar nie Gedanken gemacht habe. Theoretisch wusste ich zwar immer schon, dass die Schweiz spannender ist, als man gemeinhin so denkt – dieses Buch führt es mir vor.
Bruno Meier, Denise Schmid
25 x die Schweiz
Eine Zeitreise
Hier und Jetzt, Zürich 2024
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