Meine erste Reaktion auf diesen Titel war: Das ist doch klar! Schliesslich will jedes System möglichst reibungslos funktionieren. Warum sollten Universitäten da anders sein? Sicher, sie definieren sich anders, behaupten, sie stünden für Meinungsfreiheit. Doch wer mit auch nur ein bisschen Lebenserfahrung glaubt eigentlich den Selbstdeklarationen, den Absichtserklärungen, der Propaganda? Man lese etwa, was Nestlé oder die CIA von sich behaupten.
Andererseits, und davon handelt Wer stört, muss weg! Die Entfernung kritischer Professoren aus der Universität von Heike Egner und Anke Uhlenwinkel, beide Universitätsprofessorinnen, ist eine Universität eben doch etwas anderes als ein Industrieunternehmen oder ein Geheimdienst, denn da wird Wissenschaft betrieben und das meint: Das Hervorbringen unangenehmer Wahrheiten ist ihre Aufgabe, die Werturteilfreiheit Pflicht. Die Realität sieht anders aus? Sowieso. Heute kommt die Meinung zuerst, die Ideologie macht sachliche Kontroversen unmöglich. So habe ich in Esther
Bockwyts WOKE gelesen, dass das Bildungsministerium in Oregon, USA, den Lehrern ein Training in "Ethnomathematik" nahelegte. "Lehrer sollten im Unterricht darlegen, dass Mathematik dazu dient, kapitalistische, imperialistische und rassistische Ansichten zu unterstützen."
Als Heike Egner und Anke Uhlenwinkel begannen Daten zu sammeln (sie wollten untersuchen, ob es sich bei den Entlassungen von Hochschuldozenten um Einzelfälle handelte) gingen sie davon aus, "dass eine Entlassung selbstverständlich erst nach Abschluss adäquater Prüfverfahren erfolgt sein wird. Dem ist nicht so." Mich selber erstaunt das wenig, vielmehr fühlte ich mich an die Geschichte des Herausgebers des "Spectator" erinnert, der in Tony Blairs innerem Kreis Mäuschen spielen durfte, als es um die Entscheidung ging, ob Grossbritannien an der Seite der USA in den Irak einmarschieren sollte – weder wurden Expertenmeinungen eingeholt, noch wurde debattiert. Der Entscheid war längst gefallen, es ging nur darum, die Begründung nachzuliefern.
Die Freiheit der Wissenschaft ist ein Grundrecht, also dauerhaft, beständig und jedem anderen Recht vorgeordnet. Mit anderen Worten: Die Wissenschaftsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert. "Die Wissenschaft selbst ist keine demokratische Angelegenheit – die Wahrheit lässt sich eben gerade nicht durch Zustimmung einer Mehrheit finden, sondern stellt sich möglicherweise genau als das heraus, was von den Meisten als undenkbar empfunden würde."
Dass ihr Wissenschaftsverständnis "eine Idealisierung darstellt, eine Imagination, die sich auf diese Weise im eigenen Erleben nie hat realisieren können", wissen die beiden Autorinnen. Dass sie trotzdem darauf beharren, ehrt sie nicht nur, sondern gehört unterstützt, auch weil das Ringen um die Wahrheit zu den wesentlichsten Bemühungen der menschlichen Existenz gehören sollte. Zudem: So recht eigentlich verdanken wir der Wissenschaft jeden Fortschritt der Menschheitsgeschichte.
Die Untersuchungen von Heike Egner und Anke Uhlenwinkel ergaben, dass die angegebenen Gründe für die Entfernung in der Person des Professors oder der Professorin liegen. Ein Beispiel: Liefert ein Student eine ungenügende Leistung, kommt es regelmässig zu Konflikten, da der Student den Fehler nicht bei sich sieht, sondern in der Böswilligkeit der Professorin. "Die Psychologie kennt dieses Muster als 'selbstwertdienliche Verzerrung': Erfolge schreibt man sich selbst zu, während Misserfolge an anderen oder an den Umständen liegen." Das weiss man allerdings auch ohne Psychologie.
"Pointiert formuliert, wird hier ein 'Recht auf Zertifikat' eingefordert." Diese Anspruchshaltung ist typisch für unsere Zeit; Rechte zu haben ist uns selbstverständlich, Pflichten eher weniger. Jedenfalls in der westlichen Welt. Meine Erfahrung in China war ganz anders, dort hat man nur Pflichten.
Ist es vielleicht eine Frage der Generationen? Darauf eine klare Antwort zu geben, wäre zwar unwissenschaftlich, doch vermutlich trotzdem wahr. Fest steht, dass die Generation Y (Geburtsjahrgänge ca. 1980 bis 1995) erwartet, bei ihrer Karriereorientierung unterstützt zu werden, "was gleichzeitig auch bedeutet, dass die Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln zurückgewiesen wird." Besser kann man das heutige Selbstverständnis vieler (und nicht nur dieser Generation) kaum charakterisieren.
Heike Egner und Anke Uhlenwinkel gehen noch auf viele andere Aspekte ein, die für mein Dafürhalten letztlich alle Indizien für ein grundsätzliches Phänomen liefern, das über die Wissenschaft hinausgeht und für die ganze Gesellschaft relevant ist. "Es scheint, als müssten wir Gesellschaft neu erfinden. Und dabei auch ganz grundsätzlich die Frage stellen, welche Wissenschaft wir wollen." Eine andere Variante wäre, den Menschen neu erfinden, indem wir uns auf Charakterbildung konzentrieren. Ob man da allerdings einen Konsens findet, ist heutzutage mehr als fraglich,
Heike Egner / Anke Uhlenwinkel
Wer stört, muss weg!
Die Entfernung kritischer Professoren aus Universitäten
Westend, Neu-Isenburg 2024
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