Wednesday, 18 December 2024

In Annemasse und Genf

 Das Einkaufszentrum, wo ich ein Verbindungskabel fürs Handy kriegen könne, sei für einen Spaziergang recht weit, sagt man mir. Ich mache mich trotzdem auf den Weg, doch die Strassen, durch die ich gehe, sind wenig attraktiv und so schwenke ich, wie ich mir vorstelle, wieder Richtung Zentrum und lande in einer modernen Fussgängerzone mit kleinen Geschäften und Cafés. Ein paar Strassen weiter wird die Strasse aufgerissen, in den engen Gassen sehe ich einen Handyladen und kaufe mein Kabel, ein Drittel günstiger als in der Schweiz.

Jetzt, sagte mir letzthin eine Freundin, das Jetzt werde ihr immer wichtiger. Seither geht mir dieser Gedanke nicht mehr aus dem Kopf. Nichts schwieriger als in diesem Jetzt zu sein. Was mich auch seit Tagen begleitet: Das Leben sei vor allem traurig, von einigen wenigen Glücksmomenten durchbrochen. So oder ähnlich habe ich das von Françoise Hardy gehört.

Beim Betrachten meiner Fotos könne man sogar eine Stadt wie Annemasse schön finden, meinte die junge Rezeptionistin "meines" Hotels.

   17. Juni 2024

           Was man auf der Foto nicht sieht: Ich bin in die Hocke gegangen, um die Aufnahme zu machen. Als ich anschliessend aufgestanden bin, ist mir derart schwindelig geworden, dass mir im wörtlichen Sinne hören und sehen verging. Die Mischung aus Unwohlsein und Angst dauerte nicht lange, doch war ich an diesem Abend derart müde, dass ich mich bereits um halb neun ins Bett legte und bis morgens um sieben schlief.

Auf der Rückfahrt nach Sargans bin ich am Genfer Bahnhof ausgestiegen, zum See spaziert, habe den Jet d'Eau und anderes fotografiert. Dann ging ich durchs Paquis Quartier, das mir nicht unvertraut ist, doch kam ich an Orten vorbei, die neu für mich waren, bis ich, mir schien ein Instinkt am Werk, plötzlich die Strasse überquerte und in eine Seitenstrasse einbog. Die kannte ich doch! Hatte da nicht einst Laurence vorübergehend gewohnt? Rue Sismondi, sagt das Strassenschild. Ich hatte mich nicht getäuscht.

Kurze Zeit später: Der Gedanke war mir nicht neu, doch selten erschien er mir so klar wie auf einer Parkbank vor der Kirche beim Bahnhof in diesem Sommer 2024: Wie kann man bloss ein Leben lang dem Geld hinterher rennen, es zum Gott machen? Fantasieloser und hohler geht kaum.

Wie beschränkt muss eigentlich jemand sein, der sein Leben am Haben orientiert? Das er (oder sie) einmal eh nicht mitnehmen kann. Doch tun wir das nicht alle? Und bewundern und beneiden die sogenannten Erfolgreichen? Ja, wir alle sind einer Massenpsychose aufgesessen. Und sehen das natürlich überhaupt nicht so, ganz im Gegenteil, wir halten das für typisch menschlich. Kein Grund also, sich davon zu befreien.

Und so schwafeln wir von Identität, davon, dass es wichtig sei, jemand zu sein. Obwohl: Gelegentlich wissen wir schon, dass wir uns was vormachen. Und dass das Einzige, was uns fehlt, das Gefühl ist, am Leben zu sein.

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