Fotografen A-Z?! Was für ein Unterfangen!? Wie wählt man da aus? Nach welchen Kriterien? Muss so eine Auswahl nicht immer lückenhaft sein? Kann eine solche Bewertung und Gewichtung eigentlich etwas anderes als willkürlich sein?
Vollständigkeit sei nie angestrebt worden, schreibt Hans-Michael Koetzle im Vorwort. Und: "Gerade in der strikten Auswahl, in der Beschränkung sollte die Stärke eines Buches liegen, das sich als eine Art Pantheon versteht. Aufnahme gefunden haben demnach Fotografinnen und Fotografen, deren Beitrag zu einer Kultur des fotografischen Bildes ausser Frage steht, deren Werk international rezipiert, präsentiert und diskutiert wird - durchaus auch kontrovers. Berücksichtigt wurden Künstler vornehmlich aus Europa und den USA. Aber auch Fotografinnen und Fotografen aus Afrika und Lateinamerika sind prominent vertreten. Japan nicht zu vergessen, dessen Fotoszene mehr und mehr international Beachtung findet. In der Summe formt sich so eine Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert - entlang geraffter Künsterviten, die ihrerseits ein bewegtes Jahrhundert reflektieren."
Man kann dieses imposante Werk natürlich auch anders als ein Geschichtsbuch sehen - als eine Schatztruhe zum Beispiel. Zugegeben, das eine schliesst das andere nicht aus, doch für mich hielt dieser Band in erster Linie Entdeckungen bereit. So war mir etwa der 1922 in Bern geborene und 2005 daselbst verstorbene Kurt Blum bisher kein Begriff und ich war beeindruckt von seinen Aufnahmen aus "Lebendiger Stahl", aus dem Jahre 1960.
Ganz wunderbar auch die Bildauswahl für die 1909 in Berlin geborene und 2001 in Zollikerberg, Schweiz, gestorbene Marianne Breslauer. Frank Weyers schreibt zu ihrem Stil: "Die Fotografin Marianne Breslauer wählt oft entfernte, hoch gelegene Standpunkte, um Landschaften oder Plätze und die sie bevölkernden Menschen zu überschauen. Dabei konzentriert sich ihr fotografisches Auge auf strukturelle Details, die Schwingung eines Quais am Ufer der Seine oder das Zick-Zack eines Treppengeländers. Sie verleihen ihren Bildern eine formale Ordnung. Eine oft dramatische Licht-Schattenführung, der Einfluss Man Rays, verstärkt diese Wirkung."
Beeindruckt (meine Auswahl hier ist vollkommen willkürlich) war ich zudem von Mario Garruba, einem, so las ich, führenden Bildjournalisten im Italien der 1950er und 1960er-Jahre, dessen Namen, auf dem Gebiet der Reportage, man "neben den von Eugene Smith, Édouard Boubat, Micha Bar-Am, Werner Bischof, Robert Capa und Henri Cartier-Bresson setzen" könne, wie Diego Mormorio meint und damit sicher recht hat, obwohl ich von Édouard Boubat und Micha Bar-Am noch nie gehört habe. Übrigens: Boubat lässt sich in diesem Band nachschlagen (und man findet dort bestätigt, was Mormorio behauptet), Bar-Am hingegen nicht. Und beeindruckt war ich auch von Flor Garduño, die in 1957 in Mexiko-Stadt geboren wurde, im schweizerischen Stabio lebt und ausschliesslich Indios fotografiert. Sowie vom Italiener Mario Giacomelli (1926-2000), bei dessen Aufnahmen man instinktiv merkt, dass es sich um Kunst handelt. Und von Candida Höfer, geboren 1944 in Eberswalde und heute in Köln lebend, über die Susanne Lange treffend festhält, sie kreiere, "ausgehend von der vorgefundenen Objektwelt, neue und in dieser Form nur im Bild existierende Räume (...) Diese werden von der Künstlerin nicht inszeniert, offenbaren jedoch das oftmals auch surreal anmutende erzählerische Potential und die Selbstinszenierungskraft scheinbar alltäglicher, von Menschen geschaffener Strukturen und Raumkonstellationen." Und von dem Chilenen Sergio Larrain (geboren 1931), wegen seinem Band Valparaiso, einer meiner Lieblingsstädte ... und und und ... wie gesagt, dieser Band ist eine Schatztruhe, er lädt zum Entdecken ein ..
Hans-Michael Koetzle
Fotografen A-Z
Taschen, Köln 2011