Wednesday, 28 August 2024

Wunder Italiens

Dieses ansprechend gestaltete Werk (Wagenbach, Berlin 2024) versammelt Texte italienischer Autoren (Frauen wie Männer), hauptsächlich des Zwanzigsten Jahrhunderts. Das Ziel dabei war, das leite ich aus dem Titel ab (einschlägige Informationen fehlen), auf das Wunder Italiens aufmerksam zu machen. Anders gesagt: Auf das Spezielle an Italien hinzuweisen. Doch ich irrte mich, denn was diese Texte gemein haben, ist nicht Italien, sondern eine italienische Art und Weise durchs Leben zu gehen, sei es im Heimatland, sei es in der Schweiz, Marseille oder in New York.

Eingeleitet wird das Büchlein (es umfasst ganze 80 Seiten) von einem Prolog von Giacomo Leopardi, der darauf hinweist, dass die italienischen Gebräuche und Gewohnheiten (Sitten will er sie nicht nennen), eher regional als national seien. Der anschliessende Text von Francesca Melandri führt dann genau das vor, am Beispiel des Südtirol.

Umberto Eco erzählt von einem pakistanischen Taxifahrer in New York, der nichts von Italien weiss und nicht glauben kann, dass ein Land keine Feinde hat. Pier Paolo Pasolini berichtet vom Verschwinden der Glühwürmchen und dem Lebensgefühl der fröhlichen, mittlerweile ebenfalls verschwundenen Bäckerjungen, mit den für mich schönsten Sätzen dieses Bändchens. "Der Welt des Reichtums hatte er seine Welt, mit eigenen Werten, entgegenzusetzen: Vor allem: Dieser Junge war fröhlich." Natalia Ginzburg erinnert sich an ihre kaputten Schuhe.

Die Texte sind ganz unterschiedlich, beschreiben Städte, Landschaften und Menschen. Auch die offenbar unerlässlichen Ausflüge in die Geschichte fehlen nicht. Mein Favorit ist Luigi Malerbas "Sightseeing in Rom", eine höchst amüsante Geschichte, in der Schweizer Touristen bzw. deren Mentalität, die für Römer gänzlich unbegreiflich ist, eine zentrale Rolle spielen.

Es versteht sich: Die Italiener gibt es natürlich nicht. Genauso wenig wie die Römer oder die Piemontesen. Obwohl jeder und jede weiss, dass sie es eben doch gibt. Irgendwie. Überaus erhellende Gedanken zu diesem Thema stammen von Michela Murgia, die unter anderem meint: "... denn von derselben Mutter geboren zu werden, hat noch niemals Zugehörigkeit gestiftet, nicht einmal unter Katzen."

Fazit: Eine sehr gelungene Darstellung der diversità italiana, anregend, informativ, zum Schmunzeln.

Wednesday, 21 August 2024

Reisevorbereitungen

Bevor ich mich dann auf den Treck durchs Outback machte, ging ich die Liste von Sachen durch, die man als Weisser braucht, um die Reise gesund und munter zu überstehen, und sah mir dann an, was die Aborigines für dieselbe Reise brauchen.

Als Weisser braucht man folgendes: robuste Wanderstiefel, grosse Feldflaschen mit ausreichend Wasser, Verbandskasten, Funkgerät, Taschenlampe, Konservendosen mit allen erdenklichen Lebensmitteln unter der Sonne (weswegen sie ja auch eingedost werden), breitkrempiger Hut mit einem Loch seitlich in der Krempe für das Funkgerät oder Walkie-talkie, Gewehr und Messer für den Selbstschutz für den Fall, dass man noch so einen Idioten wie sich selbst trifft, Karten der Gegend (die sich aber nicht gross verändert hat, seit Banjo Paterson 1896 „Waltzing Matilda“ schrieb), Telefon- und Faxnummern, damit man im Notfall den nächsten Koalabären (strenggenommen gar kein Bär), der einen Pager hat, anpiepen kann, und Serum gegen Schlangen- und Spinnengift. Wenn man allerdings von der australischen Schwarzen Witwe gebissen wird, heisst es schon bei der Premiere gute Nacht. Übrigens frisst das Weibchen dieser Schwarzen Witwe sein Männchen bei der Paarung auf. Meinem Freund Piers Akermann zufolge hat das Männchen einen Penis, der wie ein Korkenzieher aussieht; das erklärt vielleicht das Verhalten des Weibchens. Wenn man von einer Taipanschlange gebissen wird, hat man leider auch keine Zeit mehr, sich die aktuelle Software-Version zu besorgen. Der Taipan denaturiert das Blut, spaltet es sofort und total auf. In Australien heisst es, ein Taipan könne ein Pferd in einer halben Sekunde umbringen.

Das wäre also die Liste von Sachen gewesen, die man als Weisser braucht, um im Outback zu überleben. Die Liste für Aborigines ist naturgemäss sehr viel kürzer. Sie umfasst eigentlich nur einen Gegenstand: einen Stock.

Kinky Friedman: Strassenpizza

Wednesday, 14 August 2024

Baikal - Amur

 

Es ist jedes Mal eine Freude, ein Buch der Verlagsbuchhandlung Liebeskind in Händen zu halten, denn ein schön gestaltetes Buch erfreut auch die Sinne. Mit anderen Worten: Olivier Rolins Baikal – Amur (liebeskind, München 2018) ist ein Buch, das ich auch aus ästhetischen Gründen gerne lese. Und umso mehr als mich dieser Reisebericht sofort in seinen Bann zieht.

Fünftausend Kilometer Bahnfahrt liegen vor ihm. Vieles an dieser Zugfahrt erinnert an vergangene Zeiten und das macht ihren Charme aus. „Langsam zieht die typische sibirische Landschaft vorbei, zutiefst melancholisch, dazu das Stakkato der Räder über den Schraubverbindungen der Schienen, und manchmal wird alles überdeckt von einem der endlosen Güterzüge, die entgegenkommen (auch das sieht man kaum noch, auch das erinnert an die Kindheit,).“ Starke Bilder, mir ist, als sei ich vor Ort mit dabei.

Olivier Rolin reist mit seinem Übersetzer und Freund Waleri, einer unerlässlichen Hilfe in diesem riesigen Land, wo uns vertraute Worte wie ‚Land‘, ‚Provinz‘ oder ‚Region‘ nicht ‚funktionieren‘. „Der Raum verlangt nach Worten, die wir nicht haben. Selbst der Begriff ‚Wald‘, bei dem man an Picknick und Pilzsammler denkt, ist keine angemessene Bezeichnung für die unermessliche Weite der Taiga.“ Elfmal so gross wie Frankreich ist sie und man könnte die Vereinigten Staaten einschliesslich Alaska und Westeuropa reinpacken und hätte dann immer noch Platz.

Russland ist kein „normales“ Land, die Menschen dort haben Katastrophen erlebt, „von denen wir uns keine Vorstellung machen und die es uns einfach nicht erlauben, sie nach unseren bequemen Gewissheiten zu beurteilen.“ Gewöhnungsbedürftig sind auch die Hotels, in denen die beiden Reisenden absteigen. „Es sind Luxus-Zimmer, richtige Suiten. Aber nach sowjetischem Geschmack eingerichtet: orangefarbener Teppichboden, gelbliches Sofa mit geometrischem Muster, gelbliche Vorhänge, dunkelbraun furnierte Möbel, an der Decke eine spärlich beleuchtete Glaskugeltraube als Lampe, ein golden schillernder Bettüberwurf, Schwäne mit ihren Küken beim Schwimmen schmücken die Wand (fast hätte ich geschrieben ‚beim Stillen‘). Die riesigen Heizkörper stehen auf Ziegelsteinen, die das Gewicht tragen, die Steckdosen sitzen schief und hängen so weit aus der Wand, dass man sie, typisch sowjetisch, beim Ziehen des Steckers vollends herausreisst.“

Dass die Russen mit den Zuständen rundum zufrieden seien, lässt sich schlecht behaupten. Doch auch wenn die Dinge selten so sind, wie sie sein sollten – „In Sewerobaikalsk führte beispielsweise eine Betontreppe von beiden Seiten auf eine Fussgängerbrücke über die Bahngeleise, die unser Hotel, das in der Nähe des Sees lag, vom Stadtzentrum trennte. Doch keine der Stufen, und ich meine wirklich keine, hatte dieselben Masse, weder in der Höhe noch in der Breite: Jede war gewissermassen eine Originalschöpfung, wodurch die Treppen nachts für einen Betrunkenen zu einer halsbrecherischen Herausforderung wurden (eine Situation, in der ich mich, darauf lege ich Wert, nie befunden habe; doch Betrunkene in der Nacht, die gibt es in Russland wie anderswo, und vielleicht sogar ein wenig häufiger).“ – , nicht wenige trauern den sowjetischen Zeiten nach, denn alle hatten damals Arbeit, es gab Schulen, Renten und jeder hatte ein Dach über dem Kopf.

Wie jede Reise so bietet auch diese eine Gelegenheit, sich mit Land und Leuten (und mit sich selber) auseinanderzusetzen. Dabei macht Olivier Rolin vor allem deutlich, dass unsere bequemen westlichen Wertvorstellungen weit weg von der russischen Realität sind, wo es um einiges wilder zu und her geht, als man sich das im Westen gewohnt ist. Und auch wesentlich emotionaler, leidenschaftlicher.

Unterwegs zu sein, bedeutet ja auch immer, auf andere Reisende zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. Ein Norweger, der sechsundneunzig Länder bereist hat, ohne ein Flugzeug zu nehmen, auf die Frage nach der schlimmsten Zugstrecke: Dakar–Bamako. „Kein Bettzeug, vierhundert Kakerlaken. Die schlimmsten Scheisshäuser, fügt er hinzu, gab es von Livingstone nach Kapiri Mposhi in Sambia: kein Fenster, kein Licht, nur ein Loch im Boden, den Türgriff musste man vom Schaffner erbitten und bloss nicht die Taschenlampe vergessen.“ Übrigens: die langsamen (ein Glück, wer will den bloss durchs Leben rasen?) russischen Züge verfügen über einen Samowar und in den Liegewagen gibt es gestärkte, tadellos weisse Bettwäsche.

Baikal – Amur ist auch eine Reise in die russische Vergangenheit. Eine der mir liebsten Geschichten stammt von den drei heroischen Fliegerinnen Walentina Grisodubowa, Polina Ossipenko und Marina Raskowa, die 1938 den weiblichen Rekord im Fernflug brachen, über der unbewohnten Taiga abstürzten und überlebten. Wiederholt weist Rolin auch auf die Lager und Massengräber hin, die die russische Landschaft unter ihrer Oberfläche birgt. Er tut seinen Teil dazu, dass das System des Gulags, das „für Generationen die Verrohung der Verhaltensweisen, die Achtlosigkeit gegenüber anderen in die Menschen einpflanzte“, nicht aus dem Gedächtnis verschwinden und um „einige Bilder dieser Geschichte aus der Nacht unserer selbst gewählten Blindheit ans Licht zu bringen und zu vergegenwärtigen.“

Fazit: Eine lebensphilosophische Zeitreise, witzig, differenziert und engagiert

Wednesday, 7 August 2024

Kung in Pattaya

When, in February 2009, I climbed the stairs to Mike's Shopping Mall in Pattaya, Thailand, a woman in her forties who was selling clothes next to the main entrance stormed towards me and exclaimed: "You name Hans? You name Hans?" I said yes and assumed she mistook me for somebody else for I was certain I had never seen her. "My name Kung, Soi four", she said, "Soi four, in Bangkok." I didn't know anybody in Soi four. And, I didn't know anybody by the name of Kung (the Thai word for shrimp) either. "Sell clothes", she said, "You come see Sai." She pointed to a young and pretty woman of about twenty. All of a sudden I remembered.

Many years ago, I spent much time in the Thai capital where my regular walks also took me to Asia Books in the Landmark Hotel. Kung had a stall near the Landmark on Sukhumvit Soi four. Sai, who was around eight at that time, sometimes followed me into the Landmark. I started to buy her ice cream, sometimes I just sat and talked with her for a few minutes (my Thai is virtually non-existent but I distinctly remember telling her one day that I soon would go the airport whereupon she insisted on coming along). Unsurprisingly, Sai has no such recollection.

The three of us sat for a while, smiled, and chatted. "Where is your husband?" I asked Kung. "He die", she said, "he drink too much". It is one of the explanations for a variety of mishaps (the other one is "have accident") in the land of smiles. "You have email?" Kung wanted to know. When I wrote it down for her she said "I have no email." I didn't ask her why she wanted mine if she didn't have one herself. "When you come back?" she asked. "I don't know" I smiled. It all felt supremely casual, and it all felt good.

I doubt that I would have recognised Kung outside her (for me) typical environment. She however seems to need less context than I do.