In Zeiten, in denen die Massenmedien uns mit ihren personalisierten Versionen von Geschichte füttern – ganz so als hinge das Schicksal unseres Planeten von einigen wenigen, sogenannt wichtigen Menschen ab – , scheint mir besonders nötig, das grössere Ganze nicht aus den Augen zu verlieren
Die Erde und Ich versammelt zwölf helle, von James Lovelock zusammengebrachte Köpfe, die ein breites, mit Illustrationen versehenes Themenspektrum aus Erd- und Humanwissenschaften abdecken und will Hilfe leisten "auf dem Weg in eine vom Wissen geprägte, aufgeklärte Zukunft."
So führt der Astronom Martin Rees unter anderem aus, dass der Planet Erde 4,5 Milliarden Jahre alt ist und sich während der längsten Zeit seiner Existenz nur ganz allmählich verändert hat. "Kontinente verschoben sich, die Eiskappen wuchsen und schrumpften, immer wieder entstanden biologische Arten, machten ihre Evolution durch und verschwanden wieder." Die Veränderungen der letzten tausend, und speziell der letzten 50 Jahre, waren jedoch dramatisch. Das Schicksal unseres Planeten, so Rees, werde in den nächsten hundert Jahren entschieden.
Schon mal von Fred Hoyle gehört? Rees stellt dessen Erkenntis, dass die Grundbausteine der Planeten und der Lebewesen, die Atome, in den Sternen geschmiedet werden, auf eine Stufe mit Charles Darwins Idee über die Evolution der Lebewesen.
"Um seine bahnbrechende Erkenntnis zu verstehen, muss man zunächst einmal wissen, was die Sonne und die anderen Sterne leuchten lässt. Sie funktionieren mit Kernenergie: Die Atome des Wasserstoffs, des einfachsten Elements, werden durch die Verschmelzung ihrer Kerne zu Helium. Diese Kernfusion läuft im Inneren der Sterne kontrolliert ab und lässt die Sonne schon seit 4,5 Milliarden Jahren leuchten. Aber in weiteren 6 Milliarden Jahren wird der Brennstoff zur Neige gehen. Dann wird die Sonne als Riesenstern aufflammen, ihre äusseren Schichten wegschleudern und als sogenannter weisser Zwerg ihrem stillen Untergang entgegengehen."
Der Autor Fred Pearce fördert Verblüffendes zum Bevölkerungswachstum zutage. So würde man etwa im streng muslimischen Iran, in dem religiöse Führer häufig grosse Familien fordern, ein hohes Bevölkerungswachstum erwarten. Das Gegenteil ist der Fall: "In Teheran haben Frauen heute weniger Kinder als ihre Geschlechtsgenossinnen in New York oder London." Auch die weit verbreitete Auffassung, Frauen würden erst dann weniger Kinder bekommen, wenn sie der Armut entronnen oder besser gebildet seien, entspricht nicht der Realität. Doch nicht überall sinkt die Fertilitätsrate. Ausnahmen bilden etwa der traditionell patriarchalische Nahe Osten sowie das ländliche Afrika, wo Kinder bei der Feldarbeit nützlich sind.
Die Erde und Ich ist ein vielfältig informatives Buch. Auf höchst anschauliche Art und Weise erzählt es von Sonnen und Superstürmen, Ameisen und Elefanten, dem Zusammenspiel der Moleküle und vielem anderem mehr. Vor allem aber – und das ist der Hauptgrund, weshalb ich dieses Buch ungemein schätze – macht es mich auf Dinge aufmerksam, auf die ich von mir aus wohl gar nie gekommen wäre. "Es ist kein Zufall, dass unsere Standardmasseinheit, der Meter, ganz grob der Grösse eines Menschen entspricht. Er ist ungefähr zweimal so lang wie ein Baby und halb so lang wie ein ausgewachsener Mensch. Die Vorstellung, die Grundeinheit für unsere alltäglichen Messungen wäre ein Hundertstel der Milchstrassenausdehnung oder die Länge eines Ameisenbeins, wäre doch seltsam", schreibt die Naturwissenschaftlerin Lisa Randall.
Der Glaube der Aufklärung "an die einzigartige Stellung des Tiers namens Mensch" hält der Philosoph John Gray für wenig begründet. Die Aussichten für unseren Planeten erachtet er als ausgesprochen düster, denn dafür wäre eine kollektive Rationalität von Nöten, die alles bisher Dagewesene übersteigt. "Der Gedanke, dass so etwas möglich ist, hat keine rationale Grundlage." Wohl wahr, doch man sollte die Rationalität auch nicht überschätzen, denn dass es uns und die Planeten überhaupt gibt, hat möglicherweise auch keine rationale Grundlage.
So weist etwa Nobelpreisträger Eric Kandel auf die Bedeutung des Unbewussten hin. "Statt mit Vernunft zu einer bevorzugten Haltung oder einer bestimmten Handlungsweise zu gelangen, sollten wir zulassen, dass die für uns richtige Lösung durch einen weniger bewussten, aber nicht weniger begründeten Prozess an die Oberfläche steigt. Schlaf trägt dazu bei, Gefühle ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn es also um eine wichtige Entscheidung geht, sollten wir sie im wahrsten Sinnes des Wortes überschlafen."
Fazit: Ein wunderbar anregendes Buch, das einen das Staunen lehrt!
James Lovelock et al
Die Erde und Ich
Taschen, Köln 2016