"Ich bezweifle, dass irgendjemand, der damals in Kuba zugegen war, egal ob Einheimischer oder Ausländer und ungeachtet seiner heutigen Meinung über Castro, je die von Begeisterung und Hoffnung geprägte Stimmung vergessen wird, die sich in den ersten Tagen nach dem Sieg der Revolution ausbreitete", schreibt Lee Lockwood im Vorwort zu seinen Reportagen aus den Jahren 1959-1969 aus Kuba. Und genau davon legen die Bilder in diesem eindrücklichen Band Zeugnis ab. Eine überwältigende Aufbruchsstimmung vermitteln diese Aufnahmen, der Enthusiasmus ist gleichsam mit Händen zu greifen.
Bei Fidel Castro hat man ja das Gefühl, er sei so recht eigentlich immer schon dagewesen. Beim Betrachten von Lee Lockwoods Fotos staunt man jedoch nicht wenig darüber (zugegeben, ich spreche von mir), wie jung der Mann (33), sein Bruder Raúl (28) und Che Guevara (32) waren, als sie die Macht übernahmen.
Saul Landau, ehemals Journalist, Filmemacher und Uniprofessor, bringt mit nur gerade einem Satz (der aus einem längeren Text stammt) auf den Punkt, warum diese Revolution eine besondere war: "Während die Vereinigten Staaten Nuklearsprengköpfe konstruierten, baute man in Kuba Strassen in die unerschlossenen Berge und dazu Schulen und Krankenhäuser."
Lockwoods Buch erschien zunächst in einem üblichen Hardcoverformat mit etwa hundert kleinen Schwarz-Weiss-Fotos und "war vor allem ein Buch zum Lesen, so lang wie ein Roman oder eine dicke Biografie", schreibt Herausgeberin Nina Wiener. Für die nun vorliegende prächtige Bildausgabe "war es nötig, Teile des Originaltexts leicht zu kürzen, einige Fussnoten zu aktualisieren und Bildlegenden hinzuzufügen, die es vorher nicht gab. Ansonsten wurde der Text seit der Erstauflage 1967 nicht verändert."
Im Zentrum des Buches stehe, so Nina Wiener, "eines der aussergewöhnlichsten Interviews, die im ganzen 20. Jahrhundert mit einem regierenden Staatsmann geführt wurde." Castro war während Wochen mit dem Redigieren der Mitschriften beschäftigt. Diese legte er dann wiederum Lockwood vor, dem jedoch ein, zwei Abweichungen von der Mitschrift nicht gefielen, die er auf eigene Verantwortung zurückoperierte und sie dann wiederum Castro vorlegte, worauf es noch einmal drei Tage intensiver Durchsicht durch Castro und seinen Vertrauten Vallejo bedurfte, bevor das autorisierte Manuskript vorlag. Heutzutage ist das alles schwer vorstellbar.
Die Wohnanlage "José Martí", Santiago de Cuba, 1967
In einer ähnlichen Plattenbauanlage, in Alamar, einem Vorort von Havanna, habe ich dreissig Jahre später, in regelmässigen Abständen, jeweils mehrere Wochen verbracht, weshalb ich denn auch die Aufnahmen in diesem Band mit mehr als nur einem beiläufigen Interesse betrachte. Natürlich sind Lee Lockwoods Fotografien in erster Linie aufschlussreiche Zeitdokumente, doch wirken viele davon eben auch berührend zeitlos, weil sie einerseits wunderbar illustrieren, was Aufbruch, Würde und Hoffnung heisst und andererseits das typisch Kubanische erfassen.
Castros Kuba ist exzellenter Fotojournalismus und das meint: herausragende Bilder und herausragende Texte. Wie die Fotos so vermitteln auch Lockwoods Reportagen und Interviews, dass die damalige Zeit für die Mehrheit der Kubaner (nein, nicht für alle; auch von den politischen Gefangenen ist ausführlich die Rede) eine der Freude und Zuversicht gewesen ist. Ähnliches strahlten jedoch auch die Gesichter der Männer am Hafen von Camarioca aus, die dort 1965 auf die Ausreise in die USA warteten ...
Castros Kuba ist, wie der Titel sagt, vor allem ein Buch über Fidel Castro, einen charismatischen Anführer mit diktatorischen Zügen, der sich, wie viele starke Persönlichkeiten, die Kritiker vom Leibe hielt und sich zunehmend mit Jasagern umgab. "Heute steht nach sieben Jahren fest, dass wir immer noch nicht ohne Fidel Castro über die Revolution reden können. Er dominiert sie total, von oben bis unten. Niemand in der Gesellschaft kann sich mit ihm an Macht oder Einfluss messen, denn die wahre Quelle seiner Stärke liegt in seiner Fähigkeit, direkt mit den Menschen zu kommunizieren und sie mittels seiner Persönlichkeit zu dominieren."
Castros Kuba ist ein wunderbar informatives und höchst eindrückliches Buch.
Lee Lockwood
Castros Kuba
Ein Amerikaner in Kuba
Reportagen aus den Jahren 1959-1969
Taschen, Köln 2016
No comments:
Post a Comment