Wednesday 27 September 2023

Fotografie im Journalismus

Wer glaubt, der Mensch sei ein vernunftgesteuertes Wesen, irrt gewaltig. Unter anderem lässt sich das auch an der Fotografie im Journalismus zeigen, wo der Bildanteil zunimmt, die Zahl der Bildredakteure abnimmt und festangestellte Fotografen in Redaktionen immer seltener werden. Absurder geht kaum, doch der Grund ist offensichtlich: Die Kosten. So recht eigentlich besteht der Irrsinn unserer Zeit darin, dass den meisten das Kostenargument einleuchtet. Und dass kaum jemand Zweifel daran hat, dass interessengeleitetes Geschäftsgebaren sinnvoll ist. Denkbar wäre natürlich auch, dass man sich der Sache verpflichtet orientiert und dabei Anstand und Moral nicht vergisst.

Der Fotojournalismus zeichnet sich dadurch aus, dass Foto und Text zusammengehören, was meint: aufeinander Bezug nehmen, sich ergänzen. Das zumindest ist das Ideal. In der Praxis sehe ich ihn selten, dort herrscht die Fotografie im Journalismus vor. Eine Unterscheidung, auf die Felix Koltermann zu Recht Wert legt.

"Von Oktober 2019 bis Oktober 2022 habe ich am Studiengang 'Visual Journalism and Documentary Photography' an der Hochschule Hannover ein Post-Doc-Forschungsprojekt über bildredaktionelle Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus geleitet", schreibt Felix Koltermann in seiner Einleitung zu Fotografie im Journalismus, das zum Ziel hatte, "zu verstehen, wie in den Redaktionen die Arbeit am Bild vonstatten geht und wie das publizierte Ergebnis dazu in Beziehung steht." Die in diesem Band vorgelegten Ergebnisse stammen hauptsächlich aus Interviews, Ortsbesuchen sowie von Bildkritiken. Ich will hier auf die Interviews etwas näher eingehen.

Es kommen insgesamt "zehn Personen zu Wort, die auf die eine oder andere Art und Weise Teil des Prozesses journalistischer Bildkommunikation sind. Die Gespräche drehen sich um die Frage, wie und an welcher Stelle die Einzelnen an diesem Prozess partizipieren und was deren Sicht auf zeitgenössische Fragen der Bildpublizistik ist." Dabei erfährt man unter anderem, dass heutzutage so recht eigentlich alles von den Kosten getrieben wird – was vermutlich niemanden wundert.

Zu den Fragen, die mich speziell interessierten, gehörte: "Was zeichnet gute Bildredakteur*innen aus?" Die Antworten darauf fand ich jedoch wenig ergiebig bzw. arg pauschal. Interesse am Weltgeschehen wie auch am Bild, vielfältige Erfahrungen und so weiter. Dazu gehört natürlich auch die Fähigkeit, das jeweils passende Bild zu finden, doch was dieses ausmacht, hat sich mir nicht erschlossen. 

Qualifiziert sollten die Bildredakteure sein, lese ich immer wieder. Ein Hochschullehrer spricht sich für Qualitätsjournalismus aus, doch abgesehen davon, dass er die New York Times erwähnt (die dem Florida-Golfer fast täglich eine Plattform gibt, wie übrigens auch Fox News), erläutert er nicht, was darunter zu verstehen ist – und Autor Koltermann fragt auch nicht nach. Zugegeben, Qualität zu definieren ist nicht einfach, doch man hätte diese ja auch mit konkreten Beispielen illustrieren können.

Konkret wird hingegen der Vorsitzende der Fachgruppe Bildjournalismus des bayerischen Journalisten-Verbandes, Thomas Geiger, der die fehlende Authentizität mit einem Artikel aus der Lokalzeitung illustriert, der "mit einem Adobe-Stockfoto mit asiatischen Kindern und einer asiatischen Lehrerin" bebildert war. Eine solche Praxis ist nicht nur hirnlos, sondern auch gefährlich, denn, so Sabine Pallaske, Vorsitzende der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing: "Die Beliebigkeit von Agentur- und Symbolbildern trägt zu Beliebigkeit der Medien bei."

Besonders aufschlussreich fand ich das Gespräch mit der Bildredakteurin Maritta Iseler zum Thema "Schlagworte müssen das Bild auffindbar machen", das Autor Koltermann mit der schönen Bemerkung einleitet: "Es klingt paradox, aber ohne Text findet man keine Bilder". Die Datenbanksuche, so lerne ich, muss von Überlegungen zu Sinn und Zweck geleitet sein. "Wie soll ein Thema bebildert sein? Was will ich auslösen, was will ich damit sagen?" Wichtig ist unter anderem, dass die Verschlagwortung korrekt ist, auch unter ethischen Gesichtspunkten. Nicht nur der Kontext, sondern auch die Bildlegenden geben vor, wie ein Bild gelesen werden soll.

Fotografie im Journalismus regt dazu an, sich mit Pressebildern auseinanderzusetzen. Das ist vor allem deswegen vonnöten, da wir mittlerweile in Bildern geradezu ersaufen. Das Resultat ist: Wir lassen uns von Gefühlen dominieren, denn Bilder lösen zuallererst Gefühle aus. Sich den Bildern nicht einfach auszuliefern, verlangt, sich auch des eigenen Verstandes zu bedienen. Dazu liefert dieses Buch nützliche Beiträge.

PS: Bei der Lektüre ist mir auch immer wieder mein Thesis-Supervisor an der School of Media, Journalism and Cultural Studies der Universität Cardiff, Daniel Meadows, durch den Kopf gegangen, der auf meine Frage, ob ein Bildredakteur eigentlich technische Kenntnisse brauche, meinte, der seiner Meinung nach beste britische Bildredakteur könne bei einer Kamera kaum vorne und hinten unterscheiden. Was er jedoch habe, sei ein gutes Auge. Und natürlich auch alles andere, was einen guten Journalisten letztlich ausmacht: Neugier sowie die Fähigkeit, zu denken.

Felix Koltermann
Fotografie im Journalismus
Bildredaktionelle Praktiken in Print- und Online-Medien
Herbert von Halem Verlag, Köln 2023

Wednesday 20 September 2023

Vernetzt heisst angreifbar

Dass wir überwacht werden, wissen wir; dass wir es den Überwachern leicht machen, ja, ihnen sogar behilflich sind, uns überwachen zu können, wissen wir auch. Irgendwie. Doch wirklich wissen tun wir es nicht, jedenfalls bin ich mir dessen nur selten bewusst. Und Konsequenzen hat es kaum. Zugegeben, ich rede von mir. Und so war ich denn auch höchst erstaunt, als ich las, was Mikko Hyppönen über Spam berichtete.

Meine Ausgangslage: Spam wird ignoriert. Auf keinen Fall soll auf eine Spam-Nachricht reagiert werden. Mikko Hyppönen und ein ihm bekannter Journalist beschlossen hingegen eine Reihe von Testkäufen zu machen. Sie würden in den Spam-Nachrichten beworbene Produkte kaufen und abwarten, was geschah. "Wir wollten auch testen, ob die für die Spam-Käufe benutzte Kreditkarte missbraucht würde und ob die E-Mail-Adresse auf anderen Spam-Listen landen würde."

Das Resultat überraschte die beiden (und mich sowieso): Sie bekamen, wofür sie bezahlt hatten. Die Kreditkarten gerieten, trotz Sicherheitsmängel auf der Spam-Internetseite, nicht in falsche Hände. Auch erhielten sie keine weiteren Spam-Nachrichten an die von ihnen angegebene E-Mail-Adresse.  

In den Anfängen des Internets tauchte auch Brain.A, das erste PC-Virus der Welt auf. Zum 25jährigen Jubiläum von Brain.A kontaktierte Mikko die Autoren des Brain-Virus und fragte an, ob sie sich treffen könnten. Ja, das sei möglich, erhielt er zur Antwort und machte sich nach Lahore, Pakistan auf, wo die drei Autoren lebten und arbeiteten. Die sehr gelungene Schilderung dieser Reise und dieser Begegnung allein, lohnt dieses Buchs.

Der Faktor Mensch, also wir alle mit unseren Voreingenommenheiten, die sich an dem orientieren, was wir kennen bzw. zu kennen glauben, treibt gelegentlich eigenartige Blüten. So wissen wir zwar, dass es keine gute Idee ist, für alle Dienste dasselbe Passwort zu benutzen – und tun es trotzdem. Und: "Ganz egal, wie oft du deinen Nutzern sagst, sie sollen nicht jeden E-Mail-Anhang öffnen, sie tun es typischerweise trotzdem." Weshalb denn auch Mikko Hyppönen rät, sich an sein Gesetz, das Hyppönen-Gesetz zu halten:  "Wenn es smart ist, ist es angreifbar." Oder: "Was vernetzt ist, ist angreifbar."

Mikko Hyppönen schreibt in diesem Buch von seinen 30jährigen Erfahrungen im Bereich der Informationssicherheit. Von den Anfängen des Internets über die Geschichte der Malwares bis zu Kryptowährungen und Cyberwaffen. Auch an Zukunftsvorhersagen wagt er sich – und er warnt.

 "Strafverfolgungsbehörden nutzen immer stärker Big Data, um vorherzusagen, wo und wann eine Straftat begangen werden wird. Das richtige Abwägen von Daten ist ein erhebliches Problem für alle KI-Systeme und führt zu eindeutigen Fällen von algorithmischem Rassismus. Die Systeme sagen oft voraus, dass Mitglieder von Minderheiten am ehesten Schwerverbrecher sind, wie der Strategic Subject Algorithm gezeigt hat, den das Chicago Police Department seit Jahren testet."

Viele von uns verbringen heutzutage fast mehr Zeit online als offline; ein Leben ohne Google ist für die meisten unvorstellbar.  *Google wird zwar häufig als Suchmaschine betrachtet, ist aber in Wirklichkeit die grösste Werbeagentur der Welt." Mit einem Gedächtnis, das nicht vergisst.

"In den Anfängen des Internets warnten Eltern ihre Kinder davor, das zu glauben, was sie dort sahen. Heute, wo das Internet zum Alltag gehört, scheinen Kinder Lügen im Internet viel besser zu erkennen als ihre Eltern." Was vernetzt ist, ist angreifbar ist reich an solch nützlicher Aufklärung.

Mikko Hyppönen
Was vernetzt ist, ist angreifbar
Wie Geheimdienste und Kriminelle uns im Netzt infiltrieren
Wiley, Weinheim 2023

Wednesday 13 September 2023

Die Erinnerungsfotografen

Der erste Eindruck: Das ist ein klassisch japanisch schön gestaltetes Buch, das Cover und die rosa Schnittverzierung haben mich unmittelbar angesprochen.

Worum geht's? Herr Hirasaka betreibt ein Fotostudio an der Schwelle zum Jenseits, im Grenzbereich zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten. Hier zählen nur die Erinnerungen.

Hatsue ist zweiundneunzig und soll nun zweiundneunzig Fotos auswählen und anhand dieser zurück auf ihr Leben schauen. Eine faszinierende Idee, denn was anderes ist unser vergangenes Leben als eine Erinnerung? Und was könnte sie besser auslösen als ein Foto?

Neben Hatsue, die in jungen Jahren als Kinderbetreuerin gearbeitet hat, treten noch zwei weitere Personen auf: Herr Shohei Waniguchi, ein Yakuza, der mit einem Schwert erstochen, und Mitsuru, ein Mädchen, das von seinen Eltern missbraucht und zu Tode geprügelt worden war.

In dem Zwischenreich, in das die drei eintreten, können sie Erfahrungen machen, die ihnen in ihrem vorherigen Leben verwehrt waren. So wagte es einst niemand, Waniguchi zu nahe zu kommen, jetzt aber spazierten diese Leute einfach durch ihn hindurch. Mich erinnerte das auch an Hanno Kühnerts Roman Handbuch für Verstorbene, worin die Toten nach wie vor unter uns weilen, allerdings unsichtbar und mit nur einem Zehntel ihres ehemaligen Gewichts. Hirasaki erklärt: "Wenn Sie so wollen, sind wir beide jetzt nur noch Seelen. Wir sind nun substanzlose Wesen."

So faszinierend ich die Vorstellung einer solchen Zwischenwelt finde, mein Interesse an diesem Buch gilt der Fotografie. Und so habe ich zuerst einmal gestutzt, denn unter Erinnerungsfotografen konnte ich mir nicht wirklich viel vorstellen. Was, zum Beispiel, soll sie von Fotografen unterscheiden? Und überhaupt: Fotos dienen doch generell der Erinnerung.

Überaus spannend wird Mitsurus fotografische Herangehensweise geschildert. "Sie richtete die Kamera darauf. Das musste eine Mistel sein. Drei Vögel zogen in einer Reihe über den strahlend blauen Himmel. Mitsuru schaute ihnen nach. Sie hielt inne und lauschte ihren Rufen. die scharf durch die klare Luft hallten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass um sie herum ganz unbemerkt und bescheiden die ersten Wildkirschen blühten. Wieder setzte sie die Kamera an. Sie wollte es einfangen, das weiche, diffuse Leuchten der Sakurablüten im blauen Morgenhimmel. Sie betätigte den Auslöser, klick."

Die Schilderung zieht mich auch deshalb an, weil es das Fotografieren als das zeigt, was es selten ist, aber eben auch sein kann. Ein Aufmerksamwerden für den Augenblick. Meistens ist das Fotografieren etwas ganz anderes. Der Fotograf weiss, was er will und macht sich dann auf die Suche nach dem Bild, das er bereits im Kopf hat. Mitsurus Fotografieren ist das genaue Gegenteil: Sie lässt sich von dem leiten, was auf ihrem Weg liegt.

In diesem Buch geht es jedoch weniger um Fotos, sondern um die Möglichkeit, in die Vergangenheit zu reisen und das Foto, das seine Besucher ausgewählt haben, noch einmal neu aufzunehmen. Ihnen wird also erlaubt, etwas anderes zu sehen, als sie damals gesehen haben. Mit anderen Worten: Ein Foto zeigt immer etwas, das im selben Moment auch ganz anders gesehen werden kann.

Sanaka Hiiragi
Die Erinnerunsgfotografen
Hoffmann und Campe, Hamburg 2023

Wednesday 6 September 2023

Die Konsensfabrik

Mir ist dieses Buch aus der Zeit meines Master-Studiums an der School of Journalism, Media, and Cultural Studies an der Universität Cardiff, 1999 war das, bekannt, doch was erinnere ich eigentlich? Grob gesagt: Dass zur Aufgabe der Massenmedien zentral gehört, die herrschenden Verhältnisse zu stabilisieren. Und das ist, wenn man es recht bedenkt, auch ganz logisch, denn worum es dem Menschen primär zu tun ist, ist Stabilität.

Dieses Master-Studium richtete sich übrigens an mid-career journalists und andere in den Medien Tätige, die lernen wollten, wie die Medien funktionierten. Der Blick von aussen war also gefragt und dieser fehlt denen, welche die Medien bedienen, zumeist. Dasselbe gilt übrigens für Lehrer, die meist ganz andere Ziele haben als die Schule als Institution, deren wichtigste Aufgabe es ist, die jungen Menschen mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten vertraut zu machen. Das ist meines Erachtens, entgegen den idealistischen Vorstellungen von Vierter Gewalt etc., auch die zentrale Aufgabe der Medien.

Die Konsensfabrik ist ein Klassiker und wird von drei Herausgebern verantwortet, die eine hilfreiche Einführung beigesteuert haben, die natürlich  was wären Akademiker ohne Begriffsbestimmungen! – auch eine Begriffserklärung für Propaganda liefert (was Herman und Chomsky unterlassen haben), gemäss welcher Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit oder Strategische Kommunikation nichts anderes als Propaganda seien. Natürlich sagen sie es komplizierter, doch darauf läuft es in etwa heraus, schliesslich bedeutet propagare nichts anderes als verbreiten.

Wer sich einmal die Leute genauer ansieht, die bei den Medien Karriere machen, und sich dabei vor Augen hält, dass diese ihren Job vor allem der Eigenschaft verdanken, dass sie so denken und handeln wie alle anderen auch (und damit keine Gefahr für die herrschende Ordnung darstellen), der weiss, dass diese Leute das System verinnerlicht haben. Treffend halten die Herausgeber fest: 
"Die Autoren postulieren also nicht ein intentional propagandistisches Verhalten von Journalisten, sondern zeigen bestimmte Logiken und Zwänge auf, die für journalistisches Schaffen den Rahmen setzen und handlungsleitend sind." Das gilt nicht nur für Journalisten, das gilt für alle in einem (irgendeinem) System Tätigen.

Die Einführung weist übrigens auch darauf hin, dass vor allem wirtschaftliche Ungleichheiten sowie neoliberale Fantasien "politische Ohnmachts- und Entfremdungsgefühle erzeugen", was natürlich von den Massenmedien tunlichst nicht thematisiert wird, da sie die gesellschaftliche Stabilität gefährden könnten. Chomsky und Waterstone haben in Konsequenzen des Kapitalismus ausgeführt, dass diese Stabilität immer vor allem denen dient, die am meisten davon profitieren.

"Die Massenmedien fungieren als ein System zur Kommunikation von Botschaften und Symbolen an die Bevölkerung als Ganzes. Sie sollen belustigen, unterhalten und informieren sowie den Einzelnen die Werte, Meinungen und Verhaltensweisen vermitteln, die sie in die institutionellen Strukturen der Gesamtgesellschaft integrieren. In einer Welt, in der der Reichtum bei Wenigen konzentriert ist und in der gravierende Interessenskonflikte zwischen den Klassen bestehen, können sie diese Rolle nur durch systematische Propaganda ausfüllen."

Womit, jedenfalls für mich, so recht eigentlich alles gesagt wäre. Herman und Chomsky sehen das anders und bemühen 700 Seiten, um diesen Grundgedanken anhand konkreter Beispiele auszuführen. Von "den Wahlen" in El Salvador, Guatemala und Nicaragua in den 1980ern sowie der Rolle, die die Medien dabei spielten, lesen wir, und ich wundere mich, wie man glauben kann, man könne Wahlen in fremden Ländern beurteilen. Ich war selber bei den ersten gemischtrassigen Wahlen in Südafrika vor Ort und hatte den Eindruck, dass die Berichterstattung und meine eigene Erfahrung nicht einmal ansatzweise etwas miteinander zu tun hatten. Womit ich keineswegs sagen will, meine Version sei die richtige, sondern dass die Medien nur am Rande die Aufgabe haben, zu informieren. Mundus vult decipi, die Welt will betrogen sein, wussten schon die alten Römer.

Die Konsensfabrik ist weit entfernt davon eine Verschwörungstheorie zu sein, denn es sind die systeminhärenten Zwänge, die den Konsens garantieren, schliesslich weiss jeder Journalist, dass es eine bestimmte Art und Weise gibt, eine Geschichte zu erzählen, und er weiss auch, dass er mit gewissen Geschichten gar nicht erst aufzukreuzen braucht. Die Selbstzensur übertrifft jede andere Zensur. Dazu kommt – auch das ist ein allgemein menschliches Phänomen – , dass den meisten Journalisten gar nicht klar ist, dass sie die herrschende Ideologie verinnerlicht haben (sonst hätten sie ihren Job gar nicht bekommen) und die Welt aufgrund ihrer Konditionierungen beurteilen. Eindrücklich zeigen die Autoren dies etwa an der Berichterstattung über Laos und Kambodscha.

Journalismus, so eine seiner Definitionen, sei nichts anderes als die lautstarke Begleitung von Ereignissen, die auch ohne diese stattfinden würden. Daran haben mich die Schilderungen in Die Konsensfabrik immer wieder erinnert, denn weit davon entfernt (obwohl es gelegentlich vorkommt) eine korrigierende Macht zu sein, dienen die Medien (wie alle anderen Institutionen auch) den monetären Interessen, die alle anderen dominieren. Propagiert wird, sei es von den Schulen, den Supermärkten oder den Medien, was der herrschenden Ordnung (und damit den Geld-Interessen) dient.

Man kann sich natürlich fragen, welche Relevanz dieses Werk in Zeiten einer gänzlich veränderten Medienlandschaft noch haben kann. Nun ja, an den Machtstrukturen hat sich nichts geändert, die von Eigeninteressen geleitete Politik ist uns nach wie vor selbstverständlich, die Selbstzensur wird auch immer noch als Verhaltensideal gelehrt, und die Medien lenken in der Hauptsache unverändert davon ab, womit wir uns wirklich beschäftigen sollten. Nicht mit dem Mafioso aus Queens, sondern mit dem Klimawandel, wie besonders Chomsky nicht müde wird zu betonen.

Fazit: Grundsätzlich und wesentlich.

Edward S. Herman
Noam Chomsky
Die Konsensfabrik
Die politische Ökonomie der Massenmedien
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2023