Wednesday, 31 October 2018

Blake Wood: Amy Winehouse

Fotos sind schon sehr eigenartige Dinger. Zweidimensionale Reduktionen einer dreidimensionalen Wirklichkeit, die weder klingen noch riechen und uns gleichwohl suggerieren, wir würden, wenn wir sie uns ansehen, die Wirklichkeit sehen. Kennen wir zum Beispiel die abgebildeten Personen persönlich, so ist uns, als ob wir sie selber und nicht etwa Bilder von ihnen ansehen. Jedenfalls geht es mir so. Betrachte ich Fotos meiner verstorbenen Eltern, so sehe ich meine Eltern und nicht etwa nur Bilder von ihnen.

Noch eigenartiger finde ich, dass Fotos auch zu Personen, die ich weder kenne oder gekannt habe, einen starken Bezug herstellen können. Oder zumindest die Illusion davon. So geschehen ist das mir mit den Aufnahmen, die der damals 22jährige Blake Wood aus Vermont von der 24jährigen Amy Winehouse gemacht hat. Obwohl ich mit ihrer Musik nicht wirklich vertraut bin und von ihr kaum mehr weiss als dass sie mit knapp 28 Jahren an einer Alkoholvergiftung gestorben ist.
Copyright by Blake Wood

Ich betrachte die Fotos – in Farbe und in Schwarz/Weiss – mit Musik von ihr im Hintergrund und wundere mich darüber, dass sie mich derart berühren können. Unschuldig, verletzlich, bedürftig, stolz und rebellisch, so wirkt sie auf mich. Dass ich das hineinlese, ist mir klar, ändert jedoch nichts daran, wie ich sie wahrnehme.

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass Amy und Blake sich sehr nahe standen es war eine platonische Beziehung - und die Aufnahmen das möglicherweise (was Fotos letztlich tun, entzieht sich mir) vermitteln. "Die tiefe Vertrautheit, die aus den hier versammelten Bildern spricht, lässt ahnen, wie nah sich diese beiden unverhofften Freunde standen", schreibt Nancy Jo Sales. Und fügt hinzu, dabei Bezug nehmend auf die Aufnahmen auf Saint Lucia: "Sie stehen im Widerspruch zu einem ganzen Dossier von Bildern, die uns Amy Winehouse als Drogensüchtige, als "Enfant terrible" verkaufen."

Copyright by Blake Wood

In den Worten von Blake Wood: "Sie war jemand, der Liebe in Reinform verkörperte. Sie half den Leuten um sie herum, Zugang zur Liebe und Güte in sich selbst zu finden. Diese Aufnahmen lagen bei mir im Schrank, ich musste sie wegsperren, weil es zu weh tat, sie zu betrachten. Aber jetzt möchte ich, dass die Leute den Menschen sehen, den ich kannte  dieses Licht. dieses strahlende Licht voller Liebe."

Die Bilder wurden in Camden, East London, Soho, der Isle of Wight, Saint Lucia und Paris aufgenommen; die Texte sind in Englisch, Deutsch und Französisch.

Blake Wood
AMY WINEHOUSE
Taschen, Köln 2018

Wednesday, 24 October 2018

Isaku Yanaihara: Mit Alberto Giacometti

"Es war mir nicht bewusst, aber er hat mich durch seine Art, zu sein und zu denken, enorm beeinflusst", notiert Isaku Yanaihara auf den ersten Seiten von Mit Alberto Giacometti. Annette Giacometti, Albertos Witwe, hat dieses Tagebuch, als es in Tokio in den Handel kam, mit einem weltweiten Bann belegt. Vermutlich lag das daran, dass sie und Yanaihara offenbar eine Affäre hatten. "Annette begleitete mich jede Nacht ohne Ausnahme in mein Hotel und kehrte gegen vier Uhr morgens nach Hause zurück." Das Buch durfte jahrzehntelang in keine andere Sprache übersetzt werden. Nun liegt es, direkt aus dem Japanischen übertragen, zum ersten Mal auf Deutsch vor.

Insgesamt 228 Mal ist der Philosophieprofessor aus Tokio in den Jahren 1956 bis 1966 Alberto Giacometti Modell gesessen. Und besonders angenehm hat sich das nicht angefühlt, denn es galt still zu sitzen und sich nicht zu bewegen. "Ich versuchte an nichts zu denken, aber vergebens. Wenn man nicht zu denken versucht, steht einem auch dieser Gedanke unweigerlich ins Gesicht geschrieben. Es ist nun mal so."

Giacometti ist ein Besessener, ein Getriebener. "Die tägliche Arbeit begann in freudiger Erwartung, um dann kurz vor der Verzweiflung innezuhalten, lange dabei zu verharren und schliesslich in erbitterter Hoffnung auf den nächsten Morgen zu enden."

Sie unterhalten sich über gar Vielerlei. Über Paris, Japan, Stampa, den Fortschritt, von dem Giacometti nicht viel hält, das Malen. "Sehen Sie, in einer wirklichen Landschaft existiert nicht eine einzige grelle Farbe, es gibt weder das Grün noch das Rot aus der Tube. Bäume, Häuser, Dächer, Himmel, alles ist von einem kontinuierlichen Grau; die Unterschiede bestehen lediglich in komplexen und feinen Abstufungen. Farben gibt es so gut wie gar nicht."

Giacometti sieht anders als andere. Und er will Yanaihara so malen wie er ihn sieht. So sieht er etwa Ähnlichkeiten zwischen Vater, der gerade in Paris zu Besuch gewesen war, und Sohn Yanaihara, die der Sohn jedoch überhaupt nicht sieht. Doch, doch, meint Giacometti und weist auf die Partie zwischen den Augen und die Kopfform.

Unablässig zweifelt er. "Je schöner die Wirklichkeit erscheint, desto schwieriger wird es, sie korrekt abzubilden. Gleichzeitig wächst die Leidenschaft, sie richtig wiedergeben zu wollen. Wunsch und Verzweiflung ringen miteinander und werden so gross, dass sie einen zu erdrücken drohen."

Unter anderen kommen Jean Genet, Jean-Paul Sartre ("Was mich bei Alberto am meisten überrascht, ist seine Leidenschaft für das Nichts, beziehungsweise sein leidenschaftlicher Wunsch, etwas in diesem Nichts zu fassen zu bekommen. Kunst ist ein Akt der Nichtung, und niemand weiss das besser als er.") und Simone de Beauvoir zu Wort. 

Der Band enthält auch zahlreiche Schwarz/Weiss-Fotografien (eine zeigt Giacometti in Stampa, wo er ohne Unterbruch und noch besessener arbeitete als in Paris, wo er gelegentlich "wegen irgendwelcher unerlässlicher Angelegenheiten Leute treffen" musste) sowie ein Bilddossier mit Porträts, die Alberto Giacometti von Isaku Yanaihara gemacht hatte. Ergänzt werden die Aufzeichnungen von zwei Nachworten, das eine stammt von Gérard Berréby und Véronique Perrin, das andere von Nora Bierich. Der Verleger Piet Meyer hat Aufzeichnungen über "Das editorische Umfeld zur vorliegenden Publikation" beigesteuert.

Isaku Yanaihara: Mit Alberto Giacometti ist auch gestalterisch ein sehr ansprechendes Buch, hochformatig, mit leserfreundlicher Schrift und einer durchsichtigen Schutzhülle, die Yanaiharas Porträt zeigt.

Isaku Yanaihara:
Mit Alberto Giacometti
Ein Tagebuch
Piet Meyer Verlag, Bern/Wien 2018

Wednesday, 17 October 2018

Lac de Bret

For many years I've carried a picture in my head that I believed to show Lac de Joux – I was wrong, it was another lake that had been on my mind. My friend Peggy whom I told about my memories thought they sounded a lot like Lac de Bret that she knew from childhood – and so I went there, and yes, it definitely conformed to the picture in my head.
My information said that Lac de Bret was a twenty-minute walk from Moreillon train station. There were no sign posts and so I began walking away from the main road and towards the hills at some distance. There was no traffic except for a lonely motorcycle that I managed to stop. I was indeed on my way to the lake, the young girl on the motorcycle informed me. I should cross the golf course up there, she pointed to a lonely house in the distance, and then it should be about fifteen to twenty minutes to walk. In the end, it was closer to forty minutes a thoroughly pleasurable walk on this most beautiful autumn day.
Except for a car that stopped and offered to drive me to the lake; I was pretty much the only person on the road. Mostly, it was totally still, no sounds, magic.

Wednesday, 10 October 2018

Walter Bosshard: China brennt

Seit ich 2002 ein Semester lang in China unterrichtet habe, betrachte ich Chinesisches mit anderen Augen. Neugieriger und skeptischer. Und mich immer wieder fragend, wie man über dieses riesige und höchst vielfältige Land überhaupt Verbindliches aussagen kann. Und mich überdies wundernd, dass ein paar wenige Auslandkorrespondenten unsere Sicht von Ländern, die wir nicht aus eigener Anschauung kennen, mitbestimmen. Was unter anderem mit ein Grund ist, weshalb uns die wirkliche Welt, die sich von der Medienwelt erheblich unterscheidet, immer wieder überrascht.

Ich bin damals mit Voreingenommenheiten in Fukkien eingetroffen, die mir wenig bewusst waren und ich gehe davon aus, dass es Walter Bosshard, als er sich 1933 in Peking niederliess, auch nicht viel anders erging. So nahm ich zum Beispiel an (meine damalige Naivität erstaunt mich noch heute), dass die Jahre, die ich in Thailand verbracht hatte, mich auf China, das schliesslich auch ein asiatisches Land ist, gut vorbereitet hätten – doch weit gefehlt: China ist eine ganz andere Geschichte. Nie war mir offensichtlicher als dort, dass es immer ums Überleben geht – da wurde, meist freudlos, um jeden Millimeter gekämpft. Von seinen eigenen Voreingenommenheiten berichtet Walter Bosshard nichts, stattdessen präsentiert er sich (das haben Auslandskorrespondenten so an sich) als Abenteurer.

"Ich habe in den letzten  zehn Jahren China von den unerforschten Gebieten des Kunlun und den Wüsten Zentralasiens bis zu den überfüllten Hafenstädten am Yangtse, von den mandschurischen Wäldern bis zu den Bambushainen des Südens bereist und kennengelernt. Ich habe die bedeutendsten Staatsmänner und Generäle getroffen. Ich bin den Massen des arbeitsamen, alten und doch ewig jungen Volkes begegnet und habe mit dem gewöhnlichsten Kuli die Mahlzeit geteilt. Ich habe mit Banditen Witze gemacht und ich zähle Priester und lebende Buddhas zu meinen Freunden." So klingt es heutzutage auch bei CNN. Anders gesagt: Erfolgreiche Medienleute verstehen vor allem das Sich-Selber-Anpreisen.

Mit den obigen Zeilen hat Walter Bosshard am 12. Juli 1935 seinen Vortrag im Kasino-Saal des Ullstein-Hauses in Berlin eingeleitet, wie der Herausgeber Peter Pfrunder dieses höchst aufschlussreichen Bandes Walter Bosshard / China brennt, Bildberichte 1931 - 1939 – schreibt. Der letzte von Pfrunder zitierte Satz dieser Einleitung zeugt von einer Voraussicht, die sich mit den Jahren immer mehr zugespitzt hat. "Jedes Mal, wenn ich China verlassen hatte und dieses Reich von aussen betrachtete, wurde mir klar, dass in diesem Volk eine Energie steckt, die uns im alten Europa eines Tages gefährlich werden wird."

Im Anschluss an Peter Pfrunders einleitenden Überblick, gliedert sich das Buch in die folgenden, chronologisch angeordneten Kapitel. 1931: Eröffnung der chinesischen Nationalversammlung. 1931-1933: Japanische Besetzung der Mandschurei. 1933-1936: Reisen ins Landesinnere. 1934-1936: Kühles Grasland Mongolei. 1937: Beginn des Zweiten Sino-Japanischen krieges. 1938: Im Roten China - Besuch bei Mao Zedong. Mobilisierung der Landbevölkerung. Song Meiling (die Gattin von Tschiang Kai-shek). Der Fall von Hankou.(der provisorischen Hauptstadt).

Bosshards stilvolles Auftreten sei legendär gewesen, lese ich, und die Bilder, auf denen er in diesem Buch zu sehen ist, bezeugen das. Attraktiv, jovial, der perfekte Gastgeber sei er gewesen (auf mich wirkt er Dandy-haft), doch habe er auch eine andere Seite gehabt, eine durchaus fragile und sensible. "Bosshards Einsamkeit mag mitunter erklären, weshalb der ruhelose Fotojournalist immer wieder von Neuem einen unerhörten Aktivismus entwickelte und gerade getrieben war, sich den Gefahren und Risiken auf Expeditionen oder an der Front auszusetzen."

Besonders interessant (nicht zuletzt, weil solche Ausführungen selten sind) fand ich Peter Pfrunders Aufklärungen zu den Bedingungen des Fotojournalismus jener Jahre und darüber, wie das Medium Film sich auf die Art und Weise wie Reportagen gestaltet wurden auswirkte. Und ebenso die Anekdoten um die Freunde und Rivalen Bosshard wie etwa Robert Capa, denn sie beleuchten in der Tat, wie Pfrunder schreibt, "die komplizierten Arbeitsbedingungen und den Druck, dem Fotojournalisten ausgesetzt waren." 

Auf den letzten Seiten dieses eindrücklichen Werkes geben Herausgeber Pfrunder und Madleina Deplazes, Research Curator (was es nicht alles gibt!) der Fotostiftung Schweiz, Hinweise auf den fotografischen Nachlass, welche erahnen lassen, was für eine Herkulesarbeit hinter diesem Projekt steht. Für an Fotografie und Weltgeschichte Interessierte ist dieses Buch ein wahres Juwel!

WALTER BOSSHARD / CHINA BRENNT
Bildberichte 1931 - 1939
Herausgegeben von Peter Pfrunder
Limmat Verlag Zürich / Fotostiftung Schweiz 2018

Wednesday, 3 October 2018

In and around Ljubljana

Ljubljana

The only thing that I associate with Slovenia when I arrive end of September 2018 in Ljubljana is the fact that Peter Handke, one of the heroes of my youth, once translated a novel by the Slovenian writer Florjan Lipus into German. No, I haven't (yet) read it.

Differently put: I had no preconceptions except that I had liked the small Ljubljana airport when I was in transfer on my way to Tirana some months ago. And of Maribor and Jesenice I had heard, the names, that is.

It is a small country, I learn, and easy to get around by train or by bus. Trains are slower but the scenery is much more diverse. I take a train to Kranj and, the following day, one to Litija. What I can see through the windows looks pretty similar to Switzerland or the Black Forest.
Ljubljana

How far is it to downtown? I ask at my hotel. A thirty minutes walk, I'm told. It was about an hour and the walk along the main thoroughfare wasn't too pleasant either yet the old town was beautiful – and full of tourists like me.

At a bakery I ask what would be a Slovenian specialty not to miss. The young woman shrugs and says "nothing really" and then suggests  donuts. 

My hotel room (the shower cabin is so small that I'm glad I had lost half a kilo before my arrival, I would otherwise probably have got stuck inside – this was before I found out how to properly use it) is not made when I return in the evening. "You need to place the 'Please make up room now' on the door handle for Slovenian law requires permission for staff to enter your room", I'm informed. The imagination of the legal profession is endless when it comes to inventing new ways of making money. Or maybe this is yet another attempt of saving costs for cleaning staff.
Kranj 

"My English is much better when I don't speak", smiles the waitress when struggling to find the right words. Most people I've talked to spoke English well yet almost nobody spoke German. This surprised me for I had assumed that because of the border with Austria people would generally be more inclined to speak German and not English (It was the same, I recalled, when I visited Bratislava).

What amazed me most during my few  sunny days in Slovenia were my various talks with very different people. Once again, it seemed to me that, regardless of age and gender, we all are struggling with the same kind of self-created "problems" – should I do this or that or what if ...? To me, there is no doubt that the so-called cultural differences are more likely to be differences in personality and character.