"Dieses Buch hätte nicht im Sitzen geschrieben werden können. Es handelt von der Beziehung zwischen Pfaden, Gehen und Vorstellungskraft, weshalb sich das Denken meist im Laufen vollzog - und nicht anders hätte vollziehen können", schreibt Robert Macfarlane in der Vorbemerkung zu Alte Wege, dem dritten Buch "einer losen Trilogie über Landschaften und das Innere des Menschen". Friedrich Nietzsche kam mir in den Sinn, der einmal gemeint hat: "So wenig wie möglich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern."
Alte Wege ist ein schön gestalteter, mit ansprechenden Bildern versehener Band, der gut in der Hand liegt. Der hervorragend geschriebene Text ist nicht nur vielfältig informativ, sondern auch geeignet, die Sinne zu schärfen, denn es gibt bestimmte Arten von Wissen, "die alle Aussagenlogik übersteigen und gleichsam nur im Vorbeigehen erspürt werden können."
Robert Macfarlane erzählt von seinem Unterwegssein und was er dabei, oft zusammen mit anderen, erlebt hat. Etwa "die für das Wandern typische Mischung aus Aufregung, Ohnmacht, Langeweile, Abenteuer und Erleuchtung."
Unter seinen wandernden Vorgängern ist ihm der wichtigste Edward Thomas, für den "das Alte neben dem Neuen und ihm zum Trotz fortbestand" und auf den Natur und Landschaft häufig diese Wirkung hatten: "Bäume, Vögel, Felsen und Pfade sind nicht einfach nur Objekte seiner Betrachtung, sondern werden zu einem aktiven Gegenüber, das es ihm erlaubt, Dinge zu begreifen, die ihm andernorts oder unter anderen Umständen unbegreiflich blieben."
Edward Thomas entwickelte mit der Zeit ein Modell des Denkens und des Seins. "Landschaft und Natur lassen sich nicht einfach nur betrachten; nein, sie hinterlassen deutliche Spuren in Körper und Geist und beeinflussen unsere Stimmung und unser Empfinden auf komplexe Weise."
Macfarlane wandert nicht nur über Stock und Stein, er wagt sich auch ins Watt, obwohl er gewarnt wird. "Den Broomway wird es auch morgen noch geben. Sie vielleicht nicht, wenn Sie versuchen ihn bei Nebel zu gehen." Und natürlich herrscht dann Nebel, als er sich entscheiden muss, ob er die Warnung ignorieren soll. "Ich spürte eine leichte Übelkeit aus Angst, aber auch ein starkes Verlangen, diesen Weg zu gehen."
Begleitet wird er dabei von seinem gleichfalls nervösen alten Freund David Quentin. Unnachahmlich wie er diesen beschreibt, sehr, sehr englisch, ich musste laut herauslachen. "David war Dozent für Literatur der Renaissance, dann Antiquar, später Rechts- und dann Steueranwalt. der vermutlich einzige marxistische Steueranwalt von ganz London, vielleicht sogar der Welt. Er trägt bevorzugt Kniehosen, geht gern barfuss und hofft jeden Tag auf den Zusammenbruch des Kapitalismus. David ist zwei Meter gross, sehr dünn, sehr klug und hat wenig für Menschen übrig, die sich bemüssigt fühlen, ungefragt seine Körpergrösse und Schlaksigkeit zu kommentieren. Wir haben schon viele Kilometer gemeinsam zurückgelegt."
Robert Macfarlane wandert in England, Schottland, Palästina, Spanien und Tibet. Und Wandern ist nicht gleich Wandern, da gibt es viele Unterschiede. So ist es für einen Palästinenser offenbar wenig ratsam, sich ausserhalb der grossen Städte zu bewegen, weil man da schnell einmal verhaftet werden kann, wenn man etwa am falschen Ort fotografiert oder für einen israelischen Siedler gehalten wird.
Die wohl extremste Form der Pilgerreise wird in Tibet praktiziert. Dabei "muss der Pilger die gesamte Strecke mit einem ritualisierten Kniefall zurücklegen: verbeugen, niederknien, Stirn auf den Boden legen, mit den Fingern den Boden markieren, aufstehen, beten, Schritt nach vorn bis zur Markierung, verbeugen, niederknien ... und dies über dreiundfünfzig Kilometer auf einem Pfad aus rauem Fels bis hinauf zum Drölma-Pass in einer Höhe von 5700 Metern."
Was mich vor allem für dieses Werk einnimmt, ist die Mischung aus physischer Herausforderung, genauer Beobachtung, vielfältiger Instruktion und Witz. Alte Wege macht eindrücklich nachvollziehbar, dass wir Teil eines grösseren Ganzen sind.
"Am Himmel erschien eine Mondsichel. Ein Fasan rappelte in einem weit entfernten Wald herum. Saatkrähen flatterten an mir vorbei zu ihren Schlafplätzen. Die Sonne sank, errötete. Was ich für den ersten Stern hielt, war in Wirklichkeit das Nachtlicht eines Flugzeugs über Luton."
Robert Macfarlane
Alte Wege
Naturkunden No 25
herausgegeben von Judith Schalansky
bei Matthes & Seitz, Berlin 2016
Unter seinen wandernden Vorgängern ist ihm der wichtigste Edward Thomas, für den "das Alte neben dem Neuen und ihm zum Trotz fortbestand" und auf den Natur und Landschaft häufig diese Wirkung hatten: "Bäume, Vögel, Felsen und Pfade sind nicht einfach nur Objekte seiner Betrachtung, sondern werden zu einem aktiven Gegenüber, das es ihm erlaubt, Dinge zu begreifen, die ihm andernorts oder unter anderen Umständen unbegreiflich blieben."
Edward Thomas entwickelte mit der Zeit ein Modell des Denkens und des Seins. "Landschaft und Natur lassen sich nicht einfach nur betrachten; nein, sie hinterlassen deutliche Spuren in Körper und Geist und beeinflussen unsere Stimmung und unser Empfinden auf komplexe Weise."
Macfarlane wandert nicht nur über Stock und Stein, er wagt sich auch ins Watt, obwohl er gewarnt wird. "Den Broomway wird es auch morgen noch geben. Sie vielleicht nicht, wenn Sie versuchen ihn bei Nebel zu gehen." Und natürlich herrscht dann Nebel, als er sich entscheiden muss, ob er die Warnung ignorieren soll. "Ich spürte eine leichte Übelkeit aus Angst, aber auch ein starkes Verlangen, diesen Weg zu gehen."
Begleitet wird er dabei von seinem gleichfalls nervösen alten Freund David Quentin. Unnachahmlich wie er diesen beschreibt, sehr, sehr englisch, ich musste laut herauslachen. "David war Dozent für Literatur der Renaissance, dann Antiquar, später Rechts- und dann Steueranwalt. der vermutlich einzige marxistische Steueranwalt von ganz London, vielleicht sogar der Welt. Er trägt bevorzugt Kniehosen, geht gern barfuss und hofft jeden Tag auf den Zusammenbruch des Kapitalismus. David ist zwei Meter gross, sehr dünn, sehr klug und hat wenig für Menschen übrig, die sich bemüssigt fühlen, ungefragt seine Körpergrösse und Schlaksigkeit zu kommentieren. Wir haben schon viele Kilometer gemeinsam zurückgelegt."
Robert Macfarlane wandert in England, Schottland, Palästina, Spanien und Tibet. Und Wandern ist nicht gleich Wandern, da gibt es viele Unterschiede. So ist es für einen Palästinenser offenbar wenig ratsam, sich ausserhalb der grossen Städte zu bewegen, weil man da schnell einmal verhaftet werden kann, wenn man etwa am falschen Ort fotografiert oder für einen israelischen Siedler gehalten wird.
Die wohl extremste Form der Pilgerreise wird in Tibet praktiziert. Dabei "muss der Pilger die gesamte Strecke mit einem ritualisierten Kniefall zurücklegen: verbeugen, niederknien, Stirn auf den Boden legen, mit den Fingern den Boden markieren, aufstehen, beten, Schritt nach vorn bis zur Markierung, verbeugen, niederknien ... und dies über dreiundfünfzig Kilometer auf einem Pfad aus rauem Fels bis hinauf zum Drölma-Pass in einer Höhe von 5700 Metern."
Was mich vor allem für dieses Werk einnimmt, ist die Mischung aus physischer Herausforderung, genauer Beobachtung, vielfältiger Instruktion und Witz. Alte Wege macht eindrücklich nachvollziehbar, dass wir Teil eines grösseren Ganzen sind.
"Am Himmel erschien eine Mondsichel. Ein Fasan rappelte in einem weit entfernten Wald herum. Saatkrähen flatterten an mir vorbei zu ihren Schlafplätzen. Die Sonne sank, errötete. Was ich für den ersten Stern hielt, war in Wirklichkeit das Nachtlicht eines Flugzeugs über Luton."
Robert Macfarlane
Alte Wege
Naturkunden No 25
herausgegeben von Judith Schalansky
bei Matthes & Seitz, Berlin 2016
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