Wednesday 25 October 2023

Palm Patterns

Santa Cruz do Sul, Brazil, 5 December 2021
Santa Cruz do Sul, Brazil, 9 December 2021
Santa Cruz do Sul, Brazil, 17 December 2021

Wednesday 18 October 2023

Land der Pässe

Berninapass

Neben den beeindruckenden Fotos von Richard von Tscharner enthält dieser sehr ansprechend gestaltete Band erläuternde Texte einer Politikerin, eines Kunst- und Kulturhistorikers, eines Offiziers sowie eines Baukonzernchefs, Leuten also, die sich auf die eine oder andere Art mit den Alpen auseinandergesetzt haben und, so nehme ich an, sich vermutlich kenntnisreich dazu äussern. Obwohl mir bewusst ist, dass dies nicht einfach ein Fotoband, sondern ein historisches Werk ist (dem auch historische Karten beigefügt sind), beschränke ich mich hier auf die Fotos, und zwar darauf, was sie bei mir auslösen. Und: Je weniger ich weiss, desto eher können mich Bilder überraschen.

Doch natürlich nähere ich mich diesem Band mit einem Vorwissen, das so recht eigentlich mehr den Gefühlen zuzurechnen ist. Die erste Assoziation: Ich bin einige Jahre in den Bergen zur Schule gegangen, im Kloster Disentis, und litt darunter, dass man nur rauf und runter, doch praktisch nie geradeaus gehen konnte. Die zweite Assoziation: Zwei Kommentare meiner kubanischen Ex-Frau: Suiza es un país de curvas und En Suiza nunca se ve el horizonte. Die dritte Assoziation: Ich fühle mich durch die Berge eingezwängt.

Derart voreingenommen lasse ich die Bilder nun auf mich wirken. Dabei sehe ich auch ganz anderes als was ich selber zum Bild bringe. Insbesondere den Gotthardpass habe ich so noch nie gesehen. Je länger ich jedoch bei dieser Aufnahme verweile, desto mehr spüre ich eine Vertrautheit mit dieser Art von Gegend, die ich vermeine so auch bei der Überquerung der Anden (auf der chilenischen Seite) wahrgenommen zu haben.

Gotthardpass

"Es war eine grosse Freude, die mythischen Täler, die zu den Pässen führen. mitsamt ihren malerischen Dörfern zu entdecken oder wiederzusehen. Meine Reise durch die Schweiz hat mich zudem durch die verschiedenen Jahreszeiten mit ihrer vielfältigen Farbenpracht geführt", so Richard von Tscharner im Nachwort. Damit beschreibt er, was Fotografie auch sein kann: Ein Augenöffner. Und dies meint: Erst wer wirklich hinsieht, beginnt zu sehen.

Die Kamera sei ein Instrument, das sie das Sehen gelehrt habe, meinte die amerikanische Fotografin Dorothea Lange. Und so ähnlich geht es mir mit den Bildern in diesem Band: Ich sehe eine Schweiz, die ich so nicht kenne. Klar, einiges schon, doch ganz vieles eben nicht. Selbst bei Aufnahmen, auf denen ich viel Vertrautes sehe, entdecke ich immer wieder Verblüffendes, Neues und Unerwartetes.

Fotos zu betrachten, bedeutet, die Welt mit den Augen eines anderen zu sehen; eine Welt zu entdecken, die man bisher nicht kannte. "Schau, was ich gerade gesehen habe", wird ein Fotograf ausrufen, oder "Schau, was mir meine Augen gerade gezeigt haben", eine Fotografin. Dabei spielt das Geschlecht, so scheint mir, weniger eine Rolle als die Persönlichkeit.

Fotografien zeigen uns nicht die Welt, wie sie ist, sondern einen point of view, wie er zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich gewesen ist. So zeigt mir Richard von Tscharner ein Acquacalda (Seiten 128/129), das ich nicht nur sehr eigen und originell finde (ich war auch schon vor Ort), sondern das bei mir Gefühle der Zuneigung auslöst. Warum? Nun ja, meine Gefühle fragen mich nicht nach meiner Meinung, manchmal sind sie so und manchmal anders. Doch als ich Zeit mit diesen beiden Acquacalda-Fotos verbrachte, wirkten sie so, wie ich sie gerade beschrieben habe.

Gute Naturfotografien zu betrachten verleitet einen auch immer zu fragen: Ist die Aufnahme so toll oder ist es das Abgebildete? Natürlich ist es beides, auch wenn die Kreativität der Natur derjenigen der Menschen bei weitem überlegen ist. Nur eben: Die meisten würden die kreative Natur ohne aufmerksame und geduldige Fotografen häufig gar nicht sehen.

Teufelsbrücke - Schöllenenschlucht

Bei einigen Bildern (wie etwa dem obigen von der Teufelsbrücke) wusste ich sofort, was ich vor Augen hatte, bei anderen wusste ich es nicht und fand es auch gar nicht nötig, es zu wissen, und bei noch anderen, wunderte ich mich, was ich da eigentlich vor Augen hatte. Wie bei vielen Fotografen sind auch bei Richard von Tscharner die Bildlegenden wenig aussagekräftig (Grimselpass {BE}, in Richtung Oberaar) und gelegentlich überflüssig (Mann allein auf einer Bergstrasse unterwegs). Wer mehr wissen will, muss zum Buchende vorblättern, wo er ab und zu aufschlussreiche Informationen darüber findet, wann und unter welchen Umständen eine Aufnahme zustande gekommen ist.

Eine Bildlegende ist mir aufgestossen. Da lese ich über einen Mann und eine Frau (vermutlich Asiaten), auf dem Nufenenpass von hinten beim Fotografien aufgenommen: "In sieben Tagen durch die Schweiz ...".  Weder erfährt man, ob der Fotograf die beiden kennt oder ob er mit ihnen gesprochen hat oder ob er einfach Vermutungen äussert. Andere Legenden sind ziemlich fantasielos, etwa ein Bild das Wolken prominent zeigt mit "Auf wolkigen Höhen" zu betiteln (auch weil auf vielen Aufnahmen Wolken zu sehen sind). 

Zu den für mich beeindruckendsten Bildern gehört der Staudamm Santa Maria am Lukmanierpass. "Unterhalb des erst 1968 fertiggestellten Staudamms Santa Maria, finden unzählige Ziegen nahrhaftes und frisches Weidegrass", informiert der Text dazu am Buchende. Ich war selber schon einige Mal auf dem Lukmanier, habe dort auch fotografiert, doch das absolut grandiose Bild, das Richard von Tscharner gesehen und gemacht hat, habe ich selber dort nicht gesehen.

Eine Zeitreise in die heutige Schweiz verspricht der Untertitel und das ist dieses Buch in der Tat, nicht zuletzt, weil im ersten Teil auch historische Aufnahmen zu finden sind, die bei mir den Eindruck von Ewigkeit hinterliessen. Auch diesbezüglich vermögen uns Fotografien zu täuschen, denn schliesslich wissen wir, dass alles in ständiger Veränderung begriffen ist.

Fazit: Eine eindrückliche, höchst willkommene visuelle (und damit emotionale) Horizonterweiterung, die einem eine gleichsam mythische Schweiz vor Augen führt, die sich einem nur erschliesst, wenn man sich Zeit dafür nimmt.

Richard von Tscharner
Land der Pässe
Eine Zeitreise in die heutige Schweiz
Scheidegger & Spiess, Zürich 2023

Wednesday 11 October 2023

Peter Mathis: Berge

Meine Reaktion beim ersten Durchblättern: Magisch! Gefolgt von dem Gedanken: Einige der Bilder sehen ähnlich aus, wie Bilder meiner Handy-Kamera, und das meint: Nicht so, wie es mein Auge wahrnimmt. Nun gut, was man mit blossem Auge und was man durch eine Kameralinse sieht, ist immer etwas anderes. Doch das ist noch einmal eine andere Geschichte. Hier will ich dies sagen: Mir scheint, die Kamera des Peter Mathis macht aus dem, was sich vor der Kamera befunden hat, etwas Anderes, Neues. Diese Fotos bilden die Realität nicht ab, diese Fotos schaffen sie.

Natürlich kann ich das nicht mit Sicherheit behaupten, denn weder kenne ich Peter Mathis, noch ist mir die Art und Weise, wie er fotografiert, geläufig. Ein klein wenig weiss ich hingegen schon, weil er beschreibt, worum es ihm beim Fotografieren geht. "Ich mache das Bild genau so, wie ich es mir vorgestellt habe." Er fotografiert also das Bild in seinem Kopf.

Fotos bilden die Welt nicht ab, wie viele glauben, sie kreieren eine eigene, eine fotografierte. Das ist uns selten bewusst, da uns die fotografierte Welt real erscheint. Nur eben: Sie ist es nicht, denn sie reduziert eine dreidimensionale Realität auf zwei Dimensionen, zudem fehlen der fotografierten Welt sowohl die Geräusche als auch die Gerüche.

Die Bergwelt des Peter Mathis macht mich staunen, sie erfüllt mich mit Ehrfurcht. Der Gedanke an Kunst, die der Verfasser des Geleitwortes, Malte Roeper, mit diesen Aufnahmen verbindet, stellt sie bei mir hingegen nicht ein. Für mich sind Fotografen keine Künstler, auch wenn ich die Bilder, die sie machen, manchmal als Kunstwerke gelten lassen würde. Im Falle der Berg- und der Landschaftsfotografie ist jedoch für mich die Natur die Künstlerin; das Verdienst des Fotografen ist, dass er uns darauf aufmerksam macht.

Die Aufnahmen in diesem prachtvollen Band erfolgten in verschiedenen Teilen der Welt, bei einigen hat Peter Mathis beschrieben, unter was für Umständen und Wetterbedingungen sie entstanden sind. Mit diesen Informationen im Kopf betrachte ich die Bilder noch einmal anders als beim ersten Mal, als ich ohne Vorwissen die Fotos einfach auf mich habe wirken lassen. Jetzt glaube ich auch die Kälte, den Regen und den Wind wahrzunehmen.

Besonders angetan haben es mir die von Wolken umhüllten Gipfel. Und natürlich der Salar de Uyuni im bolivianischen Altiplano. Und dann das Matterhorn, das ich so noch nie gesehen habe. Und ... doch, Halt, Stopp, bevor ich hier noch alle anderen erwähne ...

Bücher haben bekanntlich ihre Zeit. Für Fotos gilt das genau so. Jedenfalls wirkten diese Aufnahmen bei jedem Betrachten wieder anders und neu, was natürlich auch von meinen Stimmungen abhängt. Was diese Bilder bei mir auch auslösen: Diese majestätische Natur ist so viel grösser als wir Menschen es sind, so viel beständiger und so viel unbegreiflicher.

Peter Mathis
Berge
Prestel, München°London°New York 2023

Wednesday 4 October 2023

Das Buch der Abenteuer

Der erste Eindruck: Sehr schön gestaltet, im Schuber, was ich generell edel finde. Ein richtiges Buch also, ein Schmuckstück, weit mehr als nur ein simpler Gebrauchsgegenstand, und mit einem erhellenden Nachwort von Alexander Pechmann versehen, der die Autorin so charakterisiert: "Eine Frau, die sich nicht damit begnügte, eine von der Gesellschaft diktierte Rolle anzunehmen, sondern ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltete und eine Literatur schrieb, die sich an ihren persönlichen Idealen orientierte."

Elinor Mordaunt ist das Pseudonym der 1872 in Cotgrave, Nottinghamshire geborenen und 1942 in Oxford verstorbenen Evelyn May Clowes, die bereits nach wenigen Zeilen meine Sympathie hat, weil sie da unter anderem die Notwendigkeit preist, arbeiten zu müssen, um zu leben. Ein Lob des Müssens, so selten wie hellsichtig!

Eine unruhige, neugierige, aufmerksame und gescheite Frau ist diese Elinor Mordaunt, die sich zuhause, umringt von ihren Büchern, glücklich und zufrieden fühlt, auch wenn es sie ständig nach dem Neuen und Unbekannten drängt, über das sie unter anderem sagt: "Unterwegs ist man nie wirklich glücklich, es ist die Erinnerung, die glücklich macht."

Das Buch der Abenteuer ist ein höchst unterhaltsames Buch, bei dem allerdings eine meiner Grundüberzeugungen – dass es universelle Werte gebe  stark ins Wanken kommt. "Auf den Kiriwina-Inseln – wo ich einige glückliche und unvergessliche Wochen als Königin herrschte – hielt man es irgendwie für unanständig, seine toten Verwandten von Würmern auffressen zu lassen, wo man doch diesen letzten Dienst ebenso gut selber leisten könnte, und noch dazu mit Gewinn; auf den Fidschis hingegen hielt man es sogar in den wildesten Zeiten des Kannibalismus für überaus unsittlich, seine Verwandten aufzutischen, selbst die angeheirateten."

Andere Länder, andere Sitten, heisst es bekanntlich. In Marseille, "ein Zauberort, ein Schmelztiegel des Fremdartigen, des Schönen und der Schurkerei. Das Tor zum Orient; der Orient selbst, nicht in grellen Ölfarben gemalt, sondern in unendlich sanften Pastelltönen, die andeuten und locken, lächeln, anzüglich grinsen, drohen, verzaubern", versuchte sie ein Frachtschiff zu erreichen, was jedoch gar nicht so einfach war, auch weil alle, die sie fragte, behaupteten, sie wüssten ganz genau, wo dieses Schiff auslief, obwohl sie keine Ahnung hatten.

Dass man in der Fremde Erfahrungen macht, die man zuhause, obwohl sie auch dort möglich wären, selten einmal macht, erlebte sie ebenfalls in Marseille, wo sie einen Friseur aufsuchte, der ihr mit einem Duftwasser auf der Spitze seines Zeigefingers über ihre Wimpern strich, so dass sich diese nach oben bogen. "Da bin ich nun eine Frau mittleren Alters und habe mir noch nie die Wimpern formen lassen; ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man meine Wimpern formen kann. Allzu viele Dinge werden einem erst viel zu spät im Leben bewusst."

Reisen bedeutet ja nicht zuletzt, Vergleiche mit dem Vertrauten und Gewohnten anzustellen. An Bord des Frachtschiffs auf dem Weg nach Guadeloupe stellte sie fest: "Es wird unaufhörlich geredet, gelacht und laut disputiert, niemand scheint zu murren, und ich glaube, dass andere Nationen ihrer schlechten Laune, die bei uns zur Verbitterung führt, Luft machen, indem sie laut schreien und wild gestikulieren, ohne dass etwas passiert."

Wer Panama besucht, wird auch den Kanal aufsuchen, deren eine Seite damals zur Republik Panama gehörte und 'nass' war, und deren andere Seite zur United States Canal Zone gehörte und 'trocken' war. Wie Elinor Mordaunt die beiden Seiten beschreibt, sagt einem mehr über die Amis bzw. die Panameños als viele noch so gescheite Bücher. Das liegt daran, dass sie es versteht, die Wirklichkeit gleichsam sinnlich erfahrbar zu machen

Elinor Mordaunt führt ihre Reise über die Karibik und Französisch-Polynesien nach Samoa, Tonga, Fidschi und schliesslich hach Sydney. Dabei lehrt sie einen das Staunen. So notiert sie über das Grün Tahitis: "Ich bin nun alt genug, um gelernt zu haben, nicht viel zu erwarten, und daher hätte ich niemals etwas erwarten können, das jegliche Erwartung im strahlenden Glanz der späten Nachmittagssonne übertrifft." Den Regen in Navua charakterisiert sie so: "Es regnete die ganze Nacht, als wäre direkt über uns einem Wassertank der Boden weggebrochen ...".

Es ist Elinor Mordaunts Lebensneugier, die dieses Buch auszeichnet. Und ihr Abenteuergeist, von dem sie schreibt: "Er hat nichts mit der Seele zu tun, die zur Religion gehört; obwohl es sich auch um eine Religion handelt, nämlich die derjenigen, die unablässig nach den schönsten und stärksten Erlebnissen suchen." Und natürlich ihr englischer Humor – es liegt lange zurück, dass mich ein Buch so zum Lachen gebracht hat.

Fazit: Vergnüglich und instruktiv.

Elinor Mordaunt
Das Buch der Abenteuer
mareverlag, Hamburg 2023