Der Untertitel "Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien" löst bei mir einen Reflex aus, der sich so äussert: Furchtbar diese Leute, die die Welt unbedingt positiv sehen wollen! Natürlich ist die Welt negativ zu sehen genau so wenig eine Alternative, doch wie wäre es, sie einfach so zu sehen, wie sie ist? Also höchst komplex und alles andere als eindeutig.
Doch zum Buch, dessen Autorin fast zwei Jahre als Reporterin in Kabul gelebt hat und, so der Klappentext, als Journalistin mehrfach ausgezeichnet wurde, was für mich gleichbedeutend ist mit angepasst und mehrheitsfähig. "Dieses Buch handelt nicht von mir. Es handelt davon, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, was Nachrichten mit uns machen. Mit uns, unserem Denken, unserer Wahrnehmung und unserem Leben." Schon ziemlich vollmundig, nicht nur für sich, sondern für die ganze Welt sprechen zu wollen; andererseits, so verschieden voneinander sind wir ja nun auch nicht, gut möglich also, dass, was für sie gilt, auch für andere gelten mag.
Prägend für uns Menschen ist, dass wir uns Geschichten erzählen. Ronja von Wurmb-Seidel interessiert sich für Geschichten, die Mut machen. "Ich wollte zeigen, dass es für jeden Missstand einen Ausweg gibt." Ich selber halte zwar einen solchen Ansatz für entschieden unter-komplex (was der eine als Missstand bezeichnet, ist für die andere die natürliche Ordnung), doch wer erfahren hat (wie zahlreiche Studien zeigen), dass der dauerhafte Konsum von negativen Nachrichten Angst auslöst, sehnt sich vermutlich nach "Positivem".
Wir erzählen uns die falschen Geschichten, wir sollten unser Augenmerk nicht nur auf die Probleme, sondern auch auf deren Lösung legen, meint die Autorin. Und hat eindeutig Recht damit, auch wenn sie die Fähigkeiten der Geschichtenerzähler möglicherweise etwas überschätzt, denn kritisieren ist nun einmal einfacher als Lösungen aufzuzeigen. "Wer aufzeigt, dass ein als unlösbar geltendes Problem lösbar ist, übt Druck auf Regierung und Opposition – und hinterfragt so die Machtverhältnisse, zitiert sie die Psychologin Jodie Jackson. Nur eben: Ein Blick auf die Wirklichkeit zeigt, dass nichts grösseren Widerstand hervorruft als das Hinterfragen der herrschenden Verhältnisse und darin liegt der Grund, dass solche Geschichten ein recht kümmerliches Dasein fristen.
Der Mythenforscher Joseph Campbell hat darauf hingewiesen, dass Heldenerzählungen in allen Kulturen nach demselben Muster ablaufen. Held oder Heldin müssen Heim und Hof verlassen, sich in der feindlichen Fremde bewähren und kommen dann als neues Ich wieder zurück. Damit wird eine Glorifizierung des Individuums betrieben, die in die Irre führt. Ronja von Wurmb-Seidel führt dazu ein ganz tolles Zitat von Rebecca Solnit an, das so beginnt: "Wir sind nicht gut darin, Geschichten darüber zu erzählen, wie hundert Leute gemeinsam etwas bewegen ...".
"Wie wir gelernt haben, uns hilflos zu fühlen
– und wie wir es entlernen können" ist ein Kapitel überschrieben, das unter anderem sehr schön aufzeigt, wie man das Schuhe Binden nicht lernen sollte. Daraus jedoch abzuleiten, dass aus Fehlern zu lernen "die denkbar langsamste, mühsamste und ineffizienteste Art ist, uns neues Wissen anzueignen und neues Handeln zu trainieren", beruht auf der naiven Wunschvorstellung, Neues zu lernen müsse angenehm und leicht sein. Siehe auch hier.
Natürlich kann es bei Büchern in denen es von * nur so wimmelt, nicht ausbleiben, dass die Dominanz der Männer in den Geschichten zur Sprache kommt. "Die Realität, die ich in zwanzig Jahren und hunderten Männerbüchern aufgesogen hatte ... Frauen sind Nebenfiguren. Und sonst nichts." Zum Ausgleich zitiert Ronja von Wurmb-Seidel vor allem Frauen. Na ja ...
Doch zum Positiven: Stark ist dieses Buch für mich immer dann, wenn es persönlich wird, also von der Autorin selbst handelt. Etwa ihre Ausführungen zum Reisen: "Wenn ich reise, fühle ich deutlich, was sonst oft abstrakt bleibt: dass die Welt unterschiedlich ist an unterschiedlichen Orten und deshalb nie nur ausschliesslich schlecht ...". Oder was ihr zwei Männer von ihrer Pferdetherapie erzählt haben: "Entspannungsschnauben wie ein Pferd (ich mache das seither selbst, wenn ich angespannt bin ...").
Übrigens: Das Buch behauptet keineswegs, dass Nachrichten unwichtig oder ungesund sind, stattdessen will es aufzeigen, "was Nachrichten sind. Und was sie nicht sind: ein akkurates Abbild unserer Welt, unseres Kontinents, unseres Landes, unserer Nachbarschaft, oder auch nur eines einzelnen Tages darin." Und nicht zuletzt: Was mir Wie wir die Welt sehen verdienstvollerweise in Erinnerung ruft: Wir wählen ständig, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, weshalb denn auch eine Wahl, die auf Fakten gründet, uns zuträglicher ist als die Perpetuierung der Dinge, wie sie angeblich sind.
Ronja von Wurmb-Seibel
Wie wir die Welt sehen
Was negative Gedanken mir unserem Denken
machen und wie wir uns davon befreien
Kösel, München 2022