Denn hier wird für einmal vorgeführt, dass Bild und Text zusammengehören. Und das meint: dass ein Foto, ohne dass wir über seine Entstehungsgeschichte Bescheid wissen, so recht eigentlich nicht verstanden werden kann.
Fotobücher haben es ja gemeinhin so an sich, dass den Bildern keine Texte beigegeben werden oder wenn doch, dann nur ganz spärliche und zudem oft, wie ein Register, auf den letzten Seiten. Ganz so, als ob bei Fotos, die für würdig befunden werden, Aufnahme in ein Buch finden, diese losgelöst von jedem Kontext verstanden werden könnten. Doch das ist, obwohl gängige Praxis, gänzlich unsinnig.
Schön also, dass der DuMont Verlag Foto:Box auf den Markt gebracht hat, ein Werk, das sich zum Zeil gesetzt hat, "die Geschichte der Fotografie zusammenzufassen bezw. zu umreissen", erfahren wir aus dem Vorwort von Roberto Koch. "Dieses Buch versammelt zweihundertfünfzig grosse Fotografien, eine repräsentative Auswahl von Arbeiten einiger der besten Fotografen aller Zeiten. Jede einzelne ist so getreu wie möglich wiedergegeben und von einem Text und einer kurzen Biografie ihres Urhebers begleitet ... Um der Sammlung eine übergreifende Struktur zu geben, sind die Fotografien in zwölf Kategorien unterteilt worden, die unsere Kapitel bilden und sich dennoch in einem gewissen Masse überschneiden müssen, somit mit der Einordnung in eine Kategorie nie erschöpfend bestimmt sind {man ahnt zwar, was der Mann uns da sagen will, doch besonders elegant tut er es nicht gerade}. Die Themen lauten nach dem Erscheinen im Buch: Reportage, Krieg, Porträt, Akt, Frauen, Reise, Stadt (als urbaner Lebensraum), Kunst (-fotografie), Mode, Stilleben, Sport, Natur."
Dieses Buch lädt ein, Entdeckungen zu machen. Besonders anregend fand ich Garry Winogrands Central Park Zoo, Larry Towells Mennoniten in Chihuahua, Mexiko, Piergiorgio Branzis Junge mit Uhr, Martine Barrats Harlem, Dennis Stocks Audrey Hepburn, Annie Griffiths Belts Weisse Pelikane, Fulvio Roiters Umbrien, Li Zhenshengs Morgen auf dem Land ... so recht eigentlich könnte ich alle zweihundertfünzig in diesem Band versammelten Aufnahmen hier aufführen, denn auch Bilder, die ich schon lange kenne und schätze, betrachte ich in diesem Umfeld, und wegen der beigegebenen Informationen, mit (teilweise) neuen Augen.
Lese ich etwa nach, unter welchen Umständen James Nachtweys 11. September 2001 (das mich schon immer tief beeindruckte) zustande kam, bleibt mir fast der Atem weg. Bis ich dann zu den letzten beiden Sätzen komme, die mir angesichts des Vorhergegangen (die Aufnahme entstand unter Lebensgefahr) eigenartig daneben, sprachlich hölzern und vollkommen fehl am Platz dünken: "An diesem Tag fotografiert er impulsiv viele Farbfotos, denn er möchte sie so schnell wie möglich veröffentlichen. Das war seine Art der Sinnsuche, während er über die Trümmer jenes Tages stolperte, der nicht enden wollte."
Mit anderen Worten: Die Begleittexte sind von unterschiedlicher Qualität und behaupten manchmal schlicht Falsches. Über die Kontroverse zu Capas sterbenden Soldaten zu schreiben, die Frage sei gelöst worden, "als es Capas Biograf Richard Whelan nach eingehenden Recherchen gelang, den Namen des toten Soldaten zu identifizieren", ist schlicht Unsinn. Siehe auch meinen Artikel "Robert Capa's Falling Soldier" in Soundscapes vom September 2009.
Es versteht sich: "eine repräsentative Auswahl von Arbeiten einiger der besten Fotografen aller Zeiten" zu präsentieren ist schwierig, denn jeder, der sich mit Fotografie auseinandersetzt, wird Aufnahmen vermissen und/oder sich fragen, weshalb man von dieser Fotografin dies, von jenem Fotografen jenes genommen und so recht eigentlich überhaupt ganz andere Bilder hätte nehmen sollen. Für mich gilt: bei allen (vor allem textlichen) Schwächen, ich bin froh, dass es dieses Buch gibt - es zeigt mir Bilder, die ich nicht kannte, weist mich auf Fotografen hin, die zu entdecken lohnt und liefert die Information zum Bild, mit der sich ein Foto erst verstehen lässt. Schade, dass es nicht mehr solche Fotobücher gibt.
DuMont Verlag, Köln 2010