Wednesday, 26 March 2014

Bailey's Stardust

"David Bailey hatte in seinem Leben nur zwei Liebschaften: Photographie und schöne Frauen", schreibt Brian Clarke (ein dummer Satz, denn Bailey lebt immer noch) im 1980 im Schirmer/Mosel Verlag erschienen Band "Mrs. David Bailey". Es ist dies mein allererstes Fotobuch gewesen und ich fand und finde die Aufnahmen der aussergewöhnlich schönen Marie Helvin-Bailey sehr ansprechend. Genauer: ich finde Marie Helvin wunderschön, die Aufnahmen gefallen mir einfach, aber es ist Marie Helvin und nicht den Aufnahmen von ihr, der meine Aufmerksamkeit gilt. Und genau das ist das Sonderbare oder das Magische an der Fotografie: wir glauben die reale Person anzusehen, während wir doch nur zwei-dimensionale Reduktionen einer drei-dimensionalen Wirklichkeit vor Augen haben

Mein zweiter Bezug zu David Bailey ist Michelangelo Antonionis "Blow Up", dessen Hauptdarsteller, David Hemmings, einen Fotografen spielt für den Bailey Pate gestanden haben soll.
Francis Bacon 1983 @ David Bailey

Als ich mir Anfang März David Baileys Retrospektive (auf der Bailey's Stardust beruht) in der Londoner National Portrait Gallery anschaute, fragte ich mich immer mal wieder, ob es an den Dargestellten (Francis Bacon, Kate Moss, die Rolling Stones, David Bowie zusammen mit Susan Sarandon, Catherine Bailey etc.) lag, dass mir viele der Porträts gefielen oder an Baileys Fotokunst. Vermutlich an Beidem.

"Dass er als Fotograf vom Porträt her dachte, war David Baileys visueller Sensibilität in vielerlei Hinsicht förderlich", schreibt Tim Marlow in seinem Essay über "Bailey und die Porträtfotografie". Und weiter: "Es war keinesfalls nur so, dass er mit vielen seiner Models schlief, sondern er arbeitete mit ihnen erkennbar zusammen, er sympathisierte mit ihnen, stellte sie nicht als Puppen dar, sondern als Menschen und liess Aspekte ihrer Persönlichkeit durchschimmern." Woran das Marlow genau fest macht, dass Bailey mit ihnen erkennbar zusammen arbeitete, ist mir nicht wirklich erkennbar.

Ein Kapitel von Bailey's Stardust ist dem ehemaligen Model, "Ehefrau, Muse und Mutter seiner drei Kinder", Catherine Bailey gewidmet, die er im Laufe der Jahre immer wieder und in ganz unterschiedlichsten Zusammenhängen fotografiert hat und die auf die Frage, ob sie sich als Objekt benutzt fühle, antwortete: "Um Himmels willen, nein, ich habe alles unter Kontrolle. Immer!"
Kate Moss 2013 @ David Bailey

Von 2001 bis 2005 fragte Bailey die Besucher seines Ateliers, ob sie bereit wären, sich nackt fotografieren zu lassen - keiner lehnte ab. Das Shooting dauerte 10 Minuten, die Teilnehmer wurden aufgefordert sich auf eine Markierung, etwa zwei Meter vor Bailey's Kamera, zu stellen. Der Hintergrund war bei allen weiss ausgeleuchtet. "Diese konsistente Vorgehensweise, die Bailey als 'erzwungene Demokratie' bezeichnete, sollte gewährleisten, dass die einzige Variation von den Menschen selbst kam." Einer der Abgebildeten ist der Rentner "Prince Albert", vielfältigst am ganzen Körper tätowiert, mit lackierten Fingernägeln, das ganze Gesicht und die Schamgegend behängt mit Ringen in den unterschiedlichsten Grössen. Speziell dieser, doch auch all die anderen, die an diesem  "Democracy"-Projekt teilnahmen, hätten keinen Bailey gebraucht, jeder andere Fotograf hätte sie auch so ablichten können. Nur: die Idee war von Bailey, und die Ausführung ebenso.

Dieser Band dokumentiert eindrücklich, dass David Bailey nicht "nur" ein Modefotograf ist; man findet hier Aufnahmen aus dem Sudan, Papua-Neuguinea, Nagaland, von Aborigines, Schädeln und und und ... die mich vor allem ansprechenden finden sich unter dem Titel "Künstler", und da besonders die Porträts von Baileys Fotografen-Kollegen und ganz speziell die von Manuel Alvarez Bravo, Don McCullin und Bill Brandt.

Bailey's Stardust
Prestel Verlag
München London New York 2014
www.prestel.de

Wednesday, 19 March 2014

Emil Schulthess

Sonnenuntergang über dem Sepulveda Boulevard
Los Angeles, Kalifornien, 1953

Emil Schulthess lebte von 1913 bis 1996, seine Basis war die Schweiz, doch das globale Unterwegssein war ihm Lebenselixier, schreibt Martin Gasser im Vorwort dieses prächtigen Bandes. Seine vielen Reisen legen denn auch Zeugnis davon ab, dass er in der Tat getrieben war "von unbändiger Abenteuerlust und dem Drang, mit seinen Kameras die letzten weissen Flecken auf der Weltkarte zu erforschen, mit dem Ziel, den Betrachtern seiner weltweit vertriebenen Foto-Reiseberichte präzise Fakten vorzulegen und immer mehr Zusammenhänge gleichzeitig zu präsentieren." Gasser weist auch darauf hin, dass Schulthess ein anderes Verständnis von Fotografie hatte, als die damals tonangebenden Gotthard Schuh, Jakob Tuggener und Werner Bischof, die einer subjektiven, künstlerischen Auffassung anhingen. "Für Schulthess war Fotografie nicht persönlicher Ausdruck, sondern ein Abbild der realen Welt, wie er sie wahrnahm und wie er sie unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel seinem Publikum vor Augen führen wollte."

Emil Schulthess war ein Einzelgänger, "ein selbsterzogener Wissenschaftler" (L. Fritz Gruber), mithin ein Mann ganz nach meinem Geschmack, weshalb ich denn auch diesen Band positivist gestimmt angegangen bin. Den Auftakt bildet Schulthess' wohl berühmteste Aufnahme, sein Panoramabild der Mitternachtssonne, aufgenommen im nordnorwegischen Hekkingen im Juni 1950. Es setzt sich aus 24 zu Streifen beschnittenen Einzelbildern zusammen, die zusammen die Sinuskurve der Sonne abbilden. Die Mitternachtssonne wurde sowohl in Europa als auch in den USA veröffentlicht, der hauptsächlichste Grund für ihren Erfolg lag in ihrer Komposition. Schulthess stellte die Kamera so auf, "dass die Sinuskurve der Mitternachtssonne über eine abwechslungsreiche Landschaft aus Meer und Inseln zu liegen kam und diese in ein reizvolles Chiaroscuro tauchte. Schliesslich ergaben sich dank dem Farbfilm spektakuläre Effekte im Himmel und auf dem Wasser....".

Alexis Schwarzenbach hat "den umfangreichen schriftlichen Teil des Schullthess-Archivs gesichtet, aufgearbeitet und in eine ausführliche Biografie des Fotografen geformt", schreibt Martin Gasser. Anzunehmen ist, dass er sich darüber hinaus auch mit den Fotos beschäftigt hat.

Schulthess machte eine Lehre als Grafiker, in seinem letzten Lehrjahr bekam er die Möglichkeit die Photoklasse von Hans Finsler als Hospitant zu besuchen. Finsler war der Neuen Sachlichkeit verpflichtet. "Das Ei hat eine vollkommene Form. Es ist ein ideales Objekt der Fotografie", war sein Credo. Hugo Loetscher präzisierte: "Das Ei, das Finsler photographierte, war nie das Ei, das ein Huhn legt, nicht das Ei, das eine Bäuerin aus dem Nest holt, und auch keines, aus dem ein Küken schlüpft, und schon gar nicht ein verschmutztes Ei, sondern es war ein Studio-Ei, poliert, ohne Milieu und Geschichte." Für Schulthess war zentral, dass Finsler in ihm "den Ernst gegenüber dem Objekt" weckte.

Der vorliegende Band enthält unter vielen anderen auch Aufnahmen aus der Sowjetunion. Faszinierend fand ich unter anderem, dass die Strasse zwischen Tschopp und Kiew aus dem Jahre 1968 (Seiten 210/211) genau so aussieht, wie zu dieser Zeit wohl auch eine Strasse irgendwo in den USA ausgesehen hat. Und dass die Potemkinsche Treppe in Odessa, ebenfalls 1968 aufgenommen (Seite 228), auf mich wie ein Bild von Cartier-Bresson wirkt. Und ... nein ... selber schauen ... und sich seine eigenen Gedanken machen ... es lohnt sich ...

Er fühle sich, so Schulthess, "immer wieder dem dokumentarischen, der wahren  Natur verpflichtet ... Ich glaube daran, dass wir im Grunde genommen die Natur selbst nie übertreffen können - sie wird uns immer, auch mit unserer hochentwickelten Technik, überlegen und Vorbild sein." Diese Haltung glaubt man ganz besonders zu spüren, wenn man sich die Bilder, die unter dem Titel "Sonne, Mond und Sterne" am Schluss dieses eindrücklichen Werkes versammelt sind, auf sich wirken lässt

Emil Schulthess
Fotografien 1950-1990
Fotostiftung Schweiz
Limmat Verlag, Zürich 2013

Wednesday, 12 March 2014

HADID Complete Works 1979-2013

When looking at photographs, I usually want to be told what is in front of my eyes and by this I do of course not mean that when a photo shows a dog that I need to be told that I'm looking at a dog. In other words, when it is obvious what the photograph shows, no explanation is needed.

In regards to Zaha Hadid's projects and buildings I'm perfectly able to enjoy what my eyes are showing me without extended commentary from architects or knowledgeable art historians. This is however not to say that the informed words that Philip Jodidio contributed to this remarkable tome should not be paid attention to - quite the contrary.
Zaha Hadid graduated in 1977 from the Architectural Association School of Architecture in London, and founded Zaha Hadid Architects in 1979. In 2004, she became the first woman to receive the Pritzker Architecture Prize. The blurb of HADID: Complete Works 1979-2013 describes her as "a wildly controversial architect whose work remained largely unbuilt for years, despite awards and critical acclaim." The volume shows buildings, furniture, and interior designs with in-depth texts, spectacular photos, and her own drawings.

Looking at these photographs I again and again felt like exclaiming: Wow, this is just great, unbelievable, incredible, stunning! Without pause, I marvel at these forms, designs, and contours. And as satisfying as it must be to find oneself inside the completed buildings, I have the hunch that it might probably feel even more special to look at them from the outside.
Today, Zaha Hadid Architects is a 300-strong office. I was surprised to learn that despite the fact that since the very beginning of her career she had been widely respected (she taught at the most illustrious universities) only very few were prepared to give her the chance to actually build. "Indeed, until a recent date, her built work might have been considered decidedly scarce by the standards of world-class architects. The first patron for one of he built works was Rolf Fehlbaum, chief executive officer of the furniture company Vitra" for whom she completed the Vitra Fire Station.
Eli & Edythe Broad Art Museum, Michigan State University © ZHA

HADID: Complete Works 1979-2013 demonstrates impressively how Zaha Hadid, as editor Philip Jodidio puts it, "has architecture set free". There is nothing to add to that - simply enjoy the visual pleasure that this extraordinary work is offering!

HADID
Complete Works 1979-2013
Taschen, Cologne 2013
http://www.taschen.de/

Wednesday, 5 March 2014

Tim Flach: Evolution

There have been two ways of photographing animals in the history of photography, I learn from Johannes Erler's foreword: the wildlife photographers who aim at showing animals as they live in the wild and the ones who put animals on public display in order "to show us all the great things animals can do when we humans are their masters."

It is a truly fascinating experience to scrutinise photographs of animals that are made to please their owners such as the standard poodle who has to wear its coat cut in a skeleton-like design because the owner of the poodle is a fan of Tim Burton's animation film "Corpse Bride" in which skeletons play an important role. Or the Hungarian Puli that has become so popular as a show dog because of the length of its coat.
"Photos of animals never fail to provoke a response. They trigger off emotions and activate an inner reflex to stroke the animal or stretch out a hand or take a step back or not even look", writes Jochen Siemens. Strangely enough, he goes on, photographs of people will not arouse the emotional reactions as animal photography.This thought was new to me and the more I contemplated it the more convincing it seemed.

Photos are an invitation to look. In order to understand them it is important to ask questions: What do my eyes show me? Why are the pictures presented in such and such an order? What does the photographer/the editor want to tell me?
Tim Flach's Evolution starts with a chapter entitled Water (97% of the water on earth is seawater, in which 30 million species are estimated to live) and the picture of a big-belly seahorse that does not look to me like a living being but as if made of glass. The picture on the following page, a warty comb jellyfish, looks even less like a living being and more akin to some flying saucer from outer space.

Photographs, in order to be understood, need to come with text that explains what we are looking at. And, in regards to Tim Flach's Evolution this is especially obvious for in most cases I would not even have been able to make a somewhat informed guess about what my eyes were showing me.
"I do not seek, I find", Picasso famously said. In Tim Flach's words: "When I'm on location shooting, I just wait to see what might reveal itself to me and in turn may surprise others." I warm to this approach, not least because it puts us in our proper place: we do not create the world, we find ourselves in it. Together with the animals that Tim Flach portrays.

When spending time with these extraordinary photographs one can feel (when we can detect familiar features such as mouth, nose or eyes, that is) that humans and animals belong to the same species, one can however also experience an uncanny mix of awe, wonder, and uneasiness, when we can't relate at all to what is in front of our eyes.

Tim Flach's Evolution is not only great photography, it also offers an educative experience.

Tim Flach
Evolution
stern Fotografie Nr.74