Wednesday, 29 June 2016

Werner Bischof: Standpunkt

Ich gehe Fotos und Fotobücher voreingenommen an. Für Werner Bischof empfinde ich Sympathie. Das hat wesentlich mit einem Japan-Bild von ihm zu tun, das Mönche im Winter vor einem Kloster zeigt und das zu den mich prägendsten Fotos überhaupt gehört. Das liegt vermutlich daran (woran es wirklich liegt, vermag ich nicht zu sagen, mein Unbewusstes ist, wie das Wort sagt, unbewusst), dass mich Klöster als Orte, wo man sich in meiner Vorstellung aufs Wesentliche konzentriert, sehr ansprechen und auch daran, dass mich buddhistische Mönche seit jeher ganz besonders fasziniert haben.

Neben Japan verbinde ich mit Werner Bischof auch Indochina und Peru. Sowie ausschliesslich Aufnahmen in schwarz/weiss. Und genau aus diesen Gründen lohnt sich der vorliegende Band für mich ganz besonders, finde ich doch darin viele mir unbekannte (und auch farbige) Aufnahmen, die mein Bischof-Bild erweitern und mich gelegentlich überraschen, das Bild vom Mailänder Domplatz etwa. Andere hingegen, zum Beispiel das der Frauen auf den Geleisen, finde ich schon fast klassisch-typisch Bischof, obwohl ich mir nach Durchsicht dieses Bandes gar nicht mehr so sicher bin, ob es das von mir imaginierte klassisch-typische Bischof-Bild überhaupt gibt.
Werner Bischof, Piazza del Duomo, Mailand, Oktober 1946. 
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos

"Werner Bischofs Nachlass ist von einer grossen Vielfalt geprägt. Neben seinem fotografischen Werk sind da Tagebücher, Skizzen, Vorträge wie auch eine umfangreiche Korrespondenz mit seinen Eltern, mit seiner Frau Rosellina, seinen Freunden und natürlich den frühen Mitgliedern von Magnum Photos. Seine Auseinandersetzung mit der Welt, die Werner Bischof als Fotograf, als Künstler, als Mensch mit all seinen Widersprüchen führt, teilt er offen und schonungslos mit ihnen." So leiten Marco Bischof und Tania Samara Kuhn diesen höchst beeindruckenden Band ein, dem auch ein Essay von Fred Ritchin sowie ein Gespräch zwischen Kristen Lubben und Marco Bischof beigegeben ist. Aus letzterem geht unter anderem hervor, dass es dem Fotojournalisten (der er im wahrsten Sinne des Wortes war) Bischof wichtig war, die Kontrolle darüber zu behalten, wie seine Bilder und Geschichten publiziert wurden. Dass das nicht immer gelang, damit hatte er Mühe.

Es finden sich in diesem Band Aufnahmen aus Europa (1945-1947), Asien (1951-1952) sowie Nord- und Lateinamerika (1953-1954). Ihnen allen, so scheint mir, ist gemeinsam, dass sie von einem mitfühlenden Menschen gemacht worden sind. Das kann man spüren.
Werner Bischof, Barau, Indochina, August 1952. 
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos

Was mir diesen Band so wertvoll macht, ist die Tatsache, dass Werner Bischofs Auseinandersetzung mit der Welt nachvollziehbar gemacht wird. Was meine ich damit? Mir werden nicht einfach ästhetische gelungene Aufnahmen gezeigt, sondern ebenso Skizzen, Kontaktabzüge, Briefe sowie Tagebucheinträge. Und dies erlaubt mir, das zu versuchen, worum sich Bischof in Japan bemüht hat: "Ich versuche, mich in die japanische Seele einzuleben und von innen heraus die Verhältnisse zu verstehen." Doch ist das eigentlich möglich, Japan oder Bischof von innen heraus zu verstehen? Ich denke nicht, halte diesen Anspruch für zu hoch (es zu versuchen, lohnt sich trotzdem), doch machen es die vielen unterschiedlichen Dokumente möglich, einen empfindsamen, engagierten, reflektierten, selbstkritischen und kreativen Mann kennen zu lernen.

Am allermeisten angesprochen haben mich die Bild/Text-Kombinationen, denn dass sich Bild und Text aussagekräftig ergänzen, ist im heutigen Fotojournalismus (ich bin nicht einmal sicher, ob es den überhaupt noch gibt) ausgesprochen rar. So lautet etwa der Text zu einer Aufnahme von drei kleinen Kindern vor einer Hauswand, auf der steht "NO ALLA GUERRA", neben einer offenen Haustüre in Genua, Oktober/November 1946: "Hotel Columbia,  das Beste am Platz. Ich schlafe behütet in einem weichen, sauberen Bett, zufrieden körperlich, aber der Geist ist unstet. Unter mir die dreckigen Häuser, voll Not und Elend. Genügt es, zu sagen, es war immer so? Können wir uns zufrieden geben mit der eigenen Zufriedenheit?"
Werner Bischof, USA 1953/54. 
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos

 Bei vielen der gezeigten Fotos ist mir instinktiv klar, dass der Mann, der sie gemacht hat, ein humanistisch gesinnter Mensch sein musste. Was ich dann in diesem Band über ihn erfuhr, bestätigte diesen Eindruck nicht nur, sondern ergänzte und erweiterte mein Bischof-Bild. Wie jeder wirklich bedeutende Fotograf war er nicht einfach ein begabter visueller Gestalter, sondern einer, der sich mit den Grundfragen des Lebens (und damit auch der Gerechtigkeit) auseinandersetzte. "Er besuchte regelmässig Vorlesungen von Philosophen und Wissenschaftlern, die sich mit den grossen existenziellen Fragen befassten."

Ein singuläres und höchst berührendes Buch!

Werner Bischof
Standpunkt
Scheidegger & Spiess, Zürich 2016

Wednesday, 22 June 2016

Burt Glinn: Kuba 1959

Am Silvesterabend 1958 befand sich der Magnum-Fotograf Burt Glinn auf einer Party in New York, wo sich die Gespräche um Fulgencio Batista, den kubanischen Diktator, drehten, der angeblich gerade dabei war, in Havanna Lastwagen mit Kubas Schätzen beladen zu lassen und das Land verlassen zu wollen. Obwohl er sich weder für besonders mutig noch für besonders impulsiv hält, zieht es Glinn unwiderstehlich nach Havanna. Cornell Capa, der damalige Präsident von Magnum, hilft ihm das dafür nötige Geld zu beschaffen und um 3 Uhr am Neujahrsmorgen trifft Glinn am völlig verlassenen Flughafen von Miami ein, von wo es einen Charter-Shuttle nach Havanna gab, bei dem die Regel galt, dass wer zuerst da war, die Plätze bekam.

"Der Charter-Shuttle war nicht besetzt, aber es gab ein Telefon direkt zum Piloten. Nachdem er sich ausführlich über die unmögliche Uhrzeit beschwert hatte, erklärte ich ihm, es gäbe auf Kuba gerade eine Revolution und ich müsste so schnell wie möglich dort hin. Er versicherte mir, ich bekäme den ersten Platz nach Havanna bei Tagesanbruch ...".

Als er in Havanna eintrifft, ist Batista bereits geflohen, Castro und Guevara sind noch Hunderte von Meilen weit weg, niemand scheint an der Macht zu sein. Das alles schildert Glinn erfreulich unaufgeregt und unprätentiös, so erfährt man für einmal, was man so recht eigentlich öfters wissen möchte: Wie sich der Fotograf gefühlt hat, was er getan und wie er die Situation vor Ort erlebt hat.
Die Fotos sind ganz unterschiedlich, ob sie als Bilder gelungen sind, ist manchmal fraglich, doch als Zeitdokumente sind sie sehr aussagekräftig, auch wenn man nicht immer weiss, wen oder was sie zeigen. Der Begleittext zu obiger Aufnahme (und anderen Aufnahmen)  sagt: "Castro-Sympathisanten patrouillieren durch die Strassen mit Handfeuerwaffen. Es kommt zu Schusswechseln zwischen Rebellen und Anhängern Batistas. In ersten Berichten ist von 50 Opfern der Schiessereien die Rede. Die Stimmung ist aufgeheizt."

Neun Tage war Burt Glinn im Land, hautnah hat er die Euphorie erlebt. "Keiner, der seine Reise nach Havanna erlebt hatte, konnte den Theorien der Exilkubaner über Castros Unbeliebtheit Glauben schenken, die schliesslich als Grund für die US-finanzierte Invasion herhalten musste die Landung in der Schweinebucht." Wie immer also: die offiziell vorgeschobenen Gründe sind selten etwas anderes als Lügen, heutzutage läuft das unter PR.
Zu meinen liebsten Aufnahmen gehört diese hier. Im Buch steht sie neben einem Bild, das die gleichen Menschen kurz zuvor zeigt. In der vorherigen Szene wirken sie angespannt, auf dem obigen Bild freudig und erlöst. Aus dem Kontext geht hervor, dass sie Castro und Urrutia zuhören, die vom Balkon des Präsidentenpalasts zu ihnen sprechen. 

Neben dem Text von Glinn findet sich ein weiterer von Barbara Miller, die für Magnum in New York und später in Paris arbeitete und auf gerade einmal eineinhalb Seiten den "Rebellensieg auf Kuba" nachzeichnet. Es ist ein Text, geschrieben 1960, der einem die damalige Stimmung vor Ort gut zu vermitteln weiss und einen staunen macht: Dass 8'500 Partisanen, bewaffnet alleine mit Pistolen und selbstgebauten Granaten, es schafften, Batistas bestens ausgerüstete und loyale 46'000-Mann-Armee zu besiegen, grenzt an ein Wunder.
Kuba 1959 ist höchst beeindruckender Fotojournalismus!

Burt Glinn
Kuba 1959
Midas Collection, Zürich 2016

Wednesday, 15 June 2016

Grey Matter(s)

Kirkjufell, Iceland

To photograph means to direct one's attention, to focus and to frame. It also means to select from a wide variety of possible motifs. Tom Jacobi's motif is expressed in the title of this superbly done tome: Grey Matter in all sorts of shape and form. Does that mean that what you photograph is not relevant? That the only thing that matters is the grey colours?

"Anyone who in some way contributed to our religious writings and traditions was clearly convinced that the most important events had to take place in the grey of night", Tom Jacobi writes.

There is something deeply spiritual that emanates from these pictures; it did not come as a suprise to learn that the idea for this project was conceived in a tiny monk's cell at the foot of Mount Sinai
Namibia, Deadvlei

In February 2014, on a trip to Antarctica Jacobi discovered that the blue-white continent was indeed blue-white "but only when the sun gained the upper hand. Most of the time, though, a permanently changing cloud cover ensured the Antarctic presented itself in all possible shades of grey. Yet it wasn't at all dreary; it was simply beautiful. No colour was screaming for attention or calling out: 'Hey, you over there, look at me!' That grey landscape radiated unbelievable energy and meditative calm. I was at one with everything around me."

This meditative calm is exactly what I'm experiencing every time I look at these fabulous pics. They radiate a timelessness that is inspiring and make my mind not only tranquil but also wander and wonder. They are an invitation to contemplate eternity.
Moeraki, New Zealand

What we get to see are archaic landscapes which have been shaped by nature. They look magical and despite us knowing them to be real they, occasionally, appear strangely unreal.

The photographs in Grey Matter(s) were taken over a period of two years in Antarctica, New Zealand, Western Australia, Patagonia (Chile as well as Argentina), Norway, Northern Island, Scotland, Iceland, Namibia, Arizona, California, Utah, New Mexico, and Oregon.

Hirmer Publishers, Munich 2016

Wednesday, 8 June 2016

Mit James Bond auf dem Schilthorn

Fotomosaik Schweiz zeigt eine Auswahl aus dem Archiv der Pressebildagentur Comet Photo AG, das rund eine Million Fotografien umfasst und Teil des Bildarchivs der ETH-Bibliothek bildet. Die Herausgeber Michael Gasser und Nicole Graf weisen unter anderem darauf hin, dass das Bilder-Portfolio der Agentur "Reportagen, sogenannte Poolbilder für die Abonnenten des Bilderdienstes, Auftragsfotografie und – als eine besondere Spezialität – auch Flugaufnahmen" umfasste. Comet-Reportagen erschienen bis in die 1970er-Jahre. Mit dem Tod von B.E. Lindroos, der zusammen mit Jack Metzger und Hans Gerber die Firma gegründet hatte und ihr "Spiritus Rector" war, im Jahre 1984 begann der langsame Niedergang der Agentur.
Jules Vogt: Grosser Findling auf dem Bauplatz der
Nordostschweizerischen Kraftwerke AG, Birrfeld 1965

Georg Kreis, der Verfasser der Einleitung zu diesem Band, unterscheidet zwischen Presse- und Agenturbildern einerseits sowie Autorenbildern andererseits. Unter letzteren versteht er "Bilder, die mit einem individuellen Blick vorsätzlich auf eine bestimmte 'Schweiz' ausgerichtet sind und mit einer erarbeiteten Bildsprache deren hintergründige Realitäten erfassen wollen." Die Aufnahme des obigen Findlings ist also kein Autorenbild. Zutreffend hält Kreis fest: "Das Bild wurde wohl einfach wegen der sensationellen Dimension seines Objekts gemacht."

Für mich drängt sich die Kategorie Autorenbild nicht wirklich auf, ich erachte sie dem Profilierungsbedürfnis der Fotografen geschuldet. Mir jedenfalls scheinen Charakterisierungen wie "individueller Blick" (gibt es einen nicht-individuellen Blick?), "erarbeitete Bildsprache" (was auch immer das sein mag) oder "hintergründige Realitäten" (kann man die, sofern es sie geben sollte, zeigen?) wenig aussagekräftig und kaum fassbar. 

Nichtsdestotrotz gehört Georg Kreis' Text zu den seltenen Texten, die sich höchst differenziert mit den verschiedenen Aspekten (von ökonomischen Überlegungen bis zu Bildlegenden) der Entstehung von Pressefotos auseinandersetzt. Da hat für einmal einer wirklich (und mit Gewinn für den Leser) über Pressefotografie nachgedacht!
Linkes Bild: Die britische Hawker Hunter, ein einstrahliges
Düsenkampfflugzeug aus der Zeit des kalten Kriegs; Erstflug war 1954;
Indienstnahme bei der Royal Air Force im Jahr 1959, offenbar wurden
auch in der Schweiz über 100 Stück angeschafft. Darum das Pressebild.

Rechtes Bild: Hans Baumann. Es gibt verschiedene 'erste' Autobahnstücke.
Oft wird die 1963 im Hinblick auf die Expo 64 fertiggestellte Strecke Genf-Lausanne als 'erstes längeres Stück' genannt. Ein weiteres erstes Stück wurde schon am 11. Juni 1955 als Ausfallstrasse Luzern-Süd eröffnet. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1960 während der Konstruktion eines weiteren Teils am Lopper. Mit dem Bau wurde offenbar begonnen, bevor die entsprechende Rechtsgrundlage vorlag. Diese wurde im Juli 1958 mit einer Volksabstimmung und anschliessend mit einem im Juni 1960 in Kraft getretenen Bundesgesetz über die Nationalstrassen geschaffen.

"Ein halbes Jahrhundert Schweiz! Was lässt sich zeigen und was nicht? Wesentliche Veränderungen sind durch den vorliegenden Bestand nicht abgebildet und als solche kaum abbildbar", schreibt Georg Kreis und macht damit auch klar, dass Pressefotografien nicht zuletzt dazu einladen sollten, Fragen zu stellen und zwar nicht nur zu dem, was sie zeigen, sondern auch zu dem, was sie nicht zeigen.
Linke Bilder: Jack Metzger, Hans Baumann. Die Beatles, 
Ankunft am Flughafen Zürich, einmal die Stars, einmal die Menge, 
Juni 1964.

Rechtes Bild: Heinz Baumann. 'James Bond', 1968 in einer Drehpause zum Film Im Geheimdienst Ihrer Majestät auf dem Schilthorn auf 2970 m.ü.M.

Als "Augen der Welt" hat sich die Fotoagentur Comet selber bezeichnet, was Georg Kreis trocken so kommentiert: "Die 'Augen der Welt' haben vor allem auf die Welt von Zürich geblickt." Man nimmt das schmunzelnd zur Kenntnis, umso mehr, wenn man weiss, dass der Autor Basler ist. Übrigens: Was er da behauptet, begründet er auch.

Fotomosaik Schweiz
ETH-Bibliothek
Scheidegger & Spiess, Zürich 2015

Wednesday, 1 June 2016

A thousand words to understand a picture

Hans Durrer's Framing the World is not a book on photography, nor does it contain photographs. Rather, it deals with questions that are rarely asked in texts that deal with photography and the media: Does a picture really tell more than a thousand words or is it the other way around – that we need a thousand words to understand a picture? Is it true that seeing is believing, or do we simply see what we happen to believe? Are we condemned to see the world in a culturally conditioned way? These and other such questions are posed and answered in the author's quiet and penetrating observations.  
Hans Durrer
Framing the World
Photography, Propaganda and the Media
Alondra Press, Houston, TX, USA 2016
www.alondrapress.com
lark@alondrapress.com