Wednesday, 31 July 2024

Vom Reisen

Die Toleranz wächst auf fremdem Boden viel schneller als in der Heimat.
Wladimir Kaminer

Das Dumme am Reisen ist bloss, dass man sich selbst immer mitnehmen muss.
Kinky Friedman: Strassenpizza

Die Leute aus der Stadt denken, in einem Ort wie Dime Box passiert überhaupt nichts Wichtiges. Stimmt auch, ausser man nimmt Konflikte für wichtig. Oder Liebe oder Babys oder Sterben.
William Least Heat Moon: Blue Highways

Ehe ich wieder einschlief, dachte ich an Indianer, die rückwärts gingen und ihre Spuren verwischten, so dass keine Seele ihnen folgen konnte.
William Least Heat Moon: Blue Highways

Wednesday, 24 July 2024

Das Bild & die Tausend Worte

© Michael Kappeler/dpa

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heisst es bekanntlich.
Das stimmt zwar meist nicht, denn oft es es genau umgekehrt,
oft brauchen wir tausend Worte, um ein Bild zu verstehen.
Für dieses Bild braucht es jedoch keine Worte, auch wenn man
es, wie jedes Bild, natürlich ganz verschieden interpretieren kann.
Meine Interpretation? Ohne Handy gehe ich nicht in den Bundestag.

Wednesday, 17 July 2024

Un poquito incomodo

Die Wetterbedingungen seien gut, nur gerade mit ein paar leichten Turbulenzen sei zu rechnen, liess der Iberia-Pilot uns Passagiere kurz nachdem wir Miami in Richtung Madrid verlassen hatten, wissen. Zudem würde der Flug eine Stunde weniger als vorgesehen dauern. Das klang ganz wunderbar und so lehnte ich mich entspannt zurück. Nach einer Stunde gab es dann die ersten Turbulenzen, die alles andere als leicht, sondern ausgesprochen heftig waren und geschlagene sechs Stunden anhielten. Mehrere Male schloss ich auf diesem Flug mit meinem Leben ab, fiel schliesslich erschöpft in ein kurzes Dämmern, aus welchem ich zwanzig Minuten später fürs Frühstück geweckt wurde ... 

Der Pilot bedauerte, dass der Flug "un poquito incomodo" gewesen sei ... 

Wednesday, 10 July 2024

Wie sind Bilder möglich?

 

Wer wissen will, wie Bilder möglich sind, tut vor dem Kauf dieses Buchs (Mark Ashraf Halawa: Wie sind Bilder möglich? Argumente für eine semiotische Fundierung des Bildbegriffs, Herbert von Halem Verlag, Köln 2006) gut daran, den Untertitel zu lesen, denn ohne Interesse an der Semiotik lohnt die Lektüre kaum. Wer hingegen an den Ideen von Charles Sanders Peirce Gefallen findet, für den liefert Mark Halawa, wie Achim Eschbach im Vorwort schreibt, „zahlreiche Anstösse …, die zeigen können, in welche Richtung sich eine künftige Bildtheorie entwickeln sollte.“ (S.12)

Was ist ein Bild? fragt der Autor und stellt fest: „Obwohl viel über Bilder diskutiert wird, gibt es nach wie vor keine einheitliche Theorie über sie.“ (S.15). Weshalb es ihm nun darum zu tun ist, „die Bedingungen des Bildes zu ergründen“ mit der Vision, „eine allgemeine Bildwissenschaft zu begründen und zu etablieren, die Anfänge und Grenzen des Bildbegriffs bestimmen kann.“ (S.15).

Halawa hat viel gelesen und sich zu Vielem Gedanken gemacht. Er argumentiert meist einleuchtend und nachvollziehbar – dazu gleich mehr – , doch er lebt ganz offensichtlich in einem akademischen Elfenbeinturm, sonst könnte er nicht solche wirklichkeitsfremden Sätze wie diesen hier schreiben: „Doch führte der 11. September deutlicher als je zuvor buchstäblich vor Augen, dass der Terrorismus heutzutage in erster Linie visuelle Gewalt ausübt.“ (S. 14). Die Opfer und ihre Angehörigen werden das zweifellos anders sehen.

Zudem: einen Beitrag im Spiegel als Beleg dafür zu nehmen, dass es Bin Laden in erster Linie darum gegangen sei, ein grosses Medienereignis zu schaffen, ist einigermassen dünn (woher weiss der Spiegel das?), doch auch wenn das Medienereignis in die Planung der Zerstörung miteinbezogen war, ein Satz wie – „Der internationale Terrorismus operiert folglich vor allem als visuelle Bedrohung, die sich in erster Linie an den Fernsehzuschauer richtet“ (S.34) – , ist nur für Leute, die die Medienwirklichkeit für die Realität halten, nachvollziehbar. Genauso wie Halawas Einschätzung der Enthauptung des jungen Amerikaners Nicholas Berg, die per Video aufgezeichnet und verbreitet wurde: „Ebenso wie es am 11. September 2001 der Fall war, stellt sein Mord keine irrationale, hasserfüllte Handlung dar, sondern ein mit Bedacht inszeniertes Mittel zum Zweck, das sich einmal mehr den Mechanismen der (vermeintlich) modernen, rationalen und reflexiven westlichen Bildgesellschaft virtuos bediente.“ (S. 36). Gab es da kein Lektorat? Ein Mord braucht keine „irrationale, hasserfüllte Handlung“ zu sein, er kann rational und doch hasserfüllt sein; und was soll bloss eine „Bildgesellschaft“, und dazu noch eine „moderne, rationale und reflexive“, sein? Doch vor allem: Auch ein mit Bedacht inszeniertes Mittel zum Zweck kann durchaus irrational und auf Hass gegründet sein.

Wie bereits erwähnt: Halawa argumentiert meist einleuchtend und nachvollziehbar, man braucht keine Vorbildung in Linguistik, um ihm folgen zu können. Das heisst nicht, dass man seine Herleitungen und Folgerungen teilen muss, doch sie sind es wert, sich damit auseinanderzusetzen, nicht zuletzt, weil er in der Regel verständlich – wenn auch nicht besonders elegant – zu formulieren weiss.

Um beschreiben zu können, wie Bilder möglich sind, muss man zuallererst wissen, was ein Bild ist. Dabei nehmen die Semiotik und die Phänomenologie verschiedene Standpunkte ein. Für Semiotiker sind Bilder Zeichen, für Phänomenologen sind sie aus ihrer Sichtbarkeit zu bestimmen. Es versteht sich: sowohl Semiotiker wie Phänomenologen nehmen Gegenstände wahr. „Doch darüber, wie wahrgenommen wird, ob man im Vollzug des Wahrnehmens bereits über Zeichen verfügen muss oder nicht, herrscht grosse Uneinigkeit.“ (S.17). Wobei jetzt – wie arm wäre das akademische Leben ohne Begriffsbestimmungen! – natürlich zu fragen ist, was denn nun ein Zeichen ist? Hier nur soviel (Halawa zitiert R. Brandt – S.95): „Bilder können, sie müssen jedoch nicht als Zeichen fungieren.“

Als Bild, argumentiert Harawa, soll nur zählen, was artifiziell hergestellt wurde. „Das Bild … stellt ein Phänomen dar, das sich nicht in der Natur auffinden lässt, sondern ein Artefakt, das erst dann möglich wird, wenn ein Gegenstand bearbeitet wird, damit anschliessend in bezw. auf ihm etwas visuell dargeboten wird. So wird das Gesicht, das jemand in einer Wolkenformation zu sehen vermeint, als ikonisches Zeichen und nicht als Bild bezeichnet, weil es ein Naturphänomen darstellt und kein artifizielles Produkt.“ (S. 128).

Damit ist klar, dass Halawa von einem Bild eine andere Vorstellung (ein anderes Bild) hat, als landläufig üblich. Er tut also, was des Akademikers Brot ist: er differenziert. Und erfindet sich so seine eigene Wirklichkeit. Folgen wir ihm also dorthin. „’Artifizielle Präsenz’ bedeutet: Uns wird etwas visuell dargeboten, doch tatsächlich anwesend ist das Dargebotene nicht. Das gilt für ein Regenschirm-Foto oder ein Bild eines leinenen Vorhangs ebenso …“(S. 141/142). Wer darum weiss und zudem „Gesetzmässigkeiten in der Erzeugung und Verwendung von Bildern ausfindig machen kann, kann vor möglichen Manipulationen fundiert und reflektiert warnen, ohne in ikonoklastische Hasstiraden zu verfallen.“ (S.42). Ob die Peirce’sche Zeichenlehre, für die sich der Autor stark macht, ein geeignetes Mittel dazu ist, mag vielen (und nicht nur Phänomenologen) fraglich sein, doch gewiss ist, dass Halawa, dem man in diesem Buch beim Denken zuschauen kann, Eigenständiges zur Bilder-Diskussion beigetragen hat.

Noch dies: Auf Seite 169 behauptet Halawa „… für das Bild wie für alle andern kulturellen Artefakte gilt das Kontext-Prinzip“, was meint, dass „jedes Bild, ebenso wie jeder Satz, niemals losgelöst von einem bestimmten Kontext auch nur annähernd verstanden werden kann.“ Das darf bezweifelt werden, nicht zuletzt, weil die Frage hier ist/sein müsste (Halawa stellt sie leider gar nicht), wer denn diesen Kontext eigentlich bestimmt und wie viel Kontext zum Verstehen (um was genau zu verstehen?) es braucht?

Nehmen wir das Foto der kleinen Kim Phuc aus dem Vietnamkrieg: diese Aufnahme kann verstanden werden, ohne dass man wissen muss, dass sie auf der Strasse nach Tay Ninh gemacht wurde oder dass der Fotograf Nick Ut heisst und dass er sie 1972 gemacht hat. Denn ein Foto verstehen, heisst, es zu spüren … doch das wäre dann eben ein ganz anderer Ansatz und ist nicht das Thema von Halawas lesenswertem Buch.

Wednesday, 3 July 2024

Mass(Media)Hypnosis

It doesn’t cease to baffle me that whenever I turn on the news it does not seem to matter at all which channel I choose – they all seem to agree on what is relevant in this world.

We all love freedom, we are told – and often by politicians who are forced to live a tightly regulated life with no freedom at all. Fact is however that we abhor freedom, that we prefer to have none of it.

Isn’t freedom supposed to create variety? So how come it creates so much uniformity? ‘Cause we’re afraid of freedom – for what humans, above all, want is security, says Dostojevskij’s Great Inquisitor.

Moreover, we human beings want to belong. Which is why the American media stood by their government when it decided to invade Iraq. Meanwhile, The New York Times (its opinion-page, however, opposed the invasion) regrets publicly that it agreed with the Bush administration “that Saddam Hussein was concealing a large weapons program that could pose a threat to the United States or its allies” (which, as we all know by now, could hardly have been more wrong), and it also regrets that it “didn't do more to challenge the president's assumptions.”

So how come it didn’t? “At the time, we believed that Saddam Hussein was hiding large quantities of chemical and biological weapons because we assumed that he would have behaved differently if he wasn't. If there were no weapons, we thought, Iraq would surely have cooperated fully with weapons inspectors to avoid the pain of years under an international embargo and, in the end, a war that it was certain to loose. That was a reasonable theory, one almost universally accepted in Washington and widely credited by diplomats all around the world. But it was only a theory.”

The mass media do not only serve, they also represent, and are part of, the masses – and these masses are characterised by group thinking.

Contrary to what editors usually claim, they are not after the exclusive story that nobody else has, they are after the story that their rival paper has. As James Fenton in “The Fall of Saigon” reported: “In those initial days it was possible to travel outside the city, since no formal orders had been given. Indeed it was possible to do most things you fancied. But once the restrictions were published restricting us to Saigon, life became very dull indeed. The novelty of the street scenes had worn off, and most journalists left at the first opportunity. I, however, had been asked by the Washington Post to maintain its presence in Vietnam until a replacement could be brought in. I allowed the journalists’ plane to leave without me, then cabled Washington stating my terms, which were based on the fact that I was the only stringer left working for an American paper. The Post, on receipt of my terms, sacked me. I had thought I had an exclusive story. What I learned was: never get yourself into an exclusive position. If the New York Times had had a man in Saigon, the Post would have taken my terms. Because they were no rivals, and precious few Americans, I had what amounted to an exclusive non-story.”

*

The Western world is generally characterised as individualistic – but is it? Take the United States, for example (no America-bashing intended), that many (especially Americans) consider the most individualistic culture on earth: While that might well be so, the fact that the same country is also the birth place of mass-products, and the place where all men (sic) were created equal, seems to indicate that there is, besides the individualism, at the same time quite a strong notion of playing down individual differences (‘we all can be president and we all buy the same products’). Moreover, that Americans, wherever they go, appear to be easily identified as Americans seems to be more an expression of uniformity than of a distint Individualsim (Americans probably don’t perceive themselves that way though).

In other words, we’re much more conformist than we think we are. Take whatever problem, wherever in the world, the modern day solution is always: we need better communication, we have to better explain what we do. This, of course, is not communication, this is propaganda yet it appears that we’re all so thoroughly brainwashed that we do not seem to be able to see that. Or maybe we just don’t care.

The first principle is not to fool yourself, and you are the easiest person to fool”, I remember the Nobel Prize-winning physicist Richard Feinman being quoted when asked what the most important thing in doing scientific research was. Since most of us don’t do scientific research, we needn’t pay attention, right?

*

In his novel Zen and the art of motorcycle maintenance, Robert M. Pirsig makes the point that we are susceptible to believe just about anything:

The law of gravity itself did not exist before Isaac Newton. No other conclusion makes sense. “And what that means, “ I say before he can interrupt, “and what that means is that the law of gravity exists nowhere except in people’s heads! It’s a ghost! We are all of us very arrogant and conceited about running down other people’s ghosts but just as ignorant and barbaric and superstitious about our own.” “Why does everybody believe in the law of gravity then? “Mass hypnosis. In a very orthodox form known as ‘education’” "You mean the teacher is hypnotizing the kids into believing the law of gravity?” “Sure.” “That’s absurd.” “You’ve heard of the importance of eye contact in the classroom? Every educationist emphasizes it. No educationist explains it.”

Mass hypnosis then. Not as absurd as one might think. Consider de Tocqueville who in the first half of the nineteenth century wrote: “For 50 years, it has been repeated to the inhabitants of the United States that they form the only religious, enlightened and free people. They see that up to now, democratic institutions have prospered among them; they therefore have an immense opinion of themselves, and they are not far from believing that they form a species apart in the human race.”

So if we were to believe that mass hypnosis does indeed produce the dominant perception of the world, does that mean that we are condemned to subscribe to the currently dominant mass ideology of the cultural hemisphere that we populate? It is likely, yet not all do.

Consider Art Spiegelman, for example, who is, according to The Independent “one of the world's most revered graphic artists. Yet when he turned his hand to the burning issues of our day, the US media didn't want to know.” Why? This is how Hannah Cleaver reported it: “He began to make notes for a post-September 11 cartoon strip, finally producing sketches in May 2002.You would have expected the US media to sit up and take notice; instead, it slumped in its comfortable chair and closed its eyes. Yes, Spiegelman is a Pulitzer-prizewinning cartoonist; yes, he has a particular genius for describing the human price of fanaticism. Rarely have commentator and theme been so perfectly matched. But in the new „with-us-or-against-us“ climate of aggressive US patriotism, his habit of expressing uncomfortable truths was becoming awkward. Once, The New Yorker had been happy to stand shoulder to shoulder with Spiegelman in the face of controversy (notably in the case of his notorious 1993 cover depicting an orthodox Jew passionately kissing a black woman); now he found himself being urged to tone down his work. „I found that I was fighting for every picture, and that was really exhausting.“ He realised that his new cartoon stood no chance of being published there; and, by extension, that he was probably working in the wrong place. (Spiegelman finally resigned this February, after 10 years, saying that The New Yorker was „marching to the same beat asThe New York Times and all the other great American media that don't criticise the government for fear that the administration will take revenge by blocking their access to sources and information.“) … While he will make his own pilgrimage to Ground Zero, Spiegelman will not take part in any ceremonies. „There is nothing like commemorating an event to make people forget it. Commemorations seem to be part of a revisionist memory process. Our heroic mayor; our heroic president...“ He has banned himself from watching television - it makes him too angry.”

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Cleaver, Hannah 2003: ‘Art Spiegelman: Voice in the wilderness’ in The Independent, September 11.

Fenton, James 1998: ‘The Fall of Saigon’ in Jack, Ian (ed): The Granta Book of Reportage, Granta Books, London.

Pirsig, Robert M. 1974. Zen and the art of motorcycle maintenance, Bodley Head, London.