Hans Durrer
Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur
Rüegger Verlag, Zürich/Chur 2013
Ist der Mensch mehr als die Summe
seiner Gene? Mehr als ein nach elektro-chemischen Prozessabläufen
funktionierendes Etwas? Fragen, die sich einem polyglotten Autor
nicht stellen, denn er transzendiert seine Begegnungen mit den
Individuen aller Herren Länder, die ihn Sitten und Gebräuche
lehren, Einblick in private Spähren gewähren, und die ihn eines
wissen lassen: dass er, ebenso wie sie, Mensch unter Menschen ist.
Zwar anders vom Habitus her und der Art sich zu geben, gleichwohl
derselben Spezies angehörend. Anfängliches Fremdeln angesichts des
Anderen, Vergleiche ziehen mit der eigenen Umwelt und beides in
Deckung mit Erfahrungen und Erwartungen ans Leben zu bringen - das
alles weicht bald der Erkenntnis, dass es zwar kulturelle
Unterschiede geben mag, diese jedoch nur gradueller Natur sind,
sofern man ein wohlwollendes Resümee zieht.
Wohlwollen allem Fremden
entgegenzubringen, sozusagen als korrelierendes Element der
Verständigung, als interkulturelles Gepäck, ist für den Autor kein
lästiger Ballast, wenn er durch die Welt zieht, sondern jene
Selbstverständlichkeit, die allen Weitgereisten eigen ist. Dies
zieht sich wie ein roter Faden durch seine Schilderungen und mindert
oftmals den ersten, harschen Eindruck von einem Land wie
beispielsweise Brasilien, in dessen Nordosten Kriminalität und
Gewalt zum Taktgeber des Alltags geworden sind. Alles hat seine
Gründe, auch wenn sie häufig genug medienplaktiv sind, realiter
jedoch aus Armut und Aussichtslosigkeit, ein geregeltes Leben führen
zu können, erwachsen. Wer davor die Augen verschließt, der wird
Schönwetterbilder mit zurück ins kuschelige Heim nehmen und die
Wirklichkeit kräftesparend ausblenden.
Nicht so der Autor. Hans Durrer
koloriert keine mit Bundkreide aufgehübschten Weichbilder von
Städten, Menschen und Landschaften, sondern er nimmt einen
schattenwerfenden Graphitstift zur Hand und konturiert, was zwecks
Unverwechselbarkeit mit scharfen Kanten versehen werden muss. Ob nun
Istanbul, Hanoi, Kuba, Uruguay, Bombay oder Los Angeles, der Leser
darf stets in unverfälschten Impressionen schwelgen, weniger als das
zu behaupten würde dem Buch nicht gerecht. Es verführt auf eine
eigentümlich faszinierende Art, sich dem Fremden zu nähern.
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Berlin, Oktober 2013