Physik, Mathematik, Chemie sind Gebiete, die ich gerne verstehen möchte, doch nie wirklich verstanden habe. Versuche gab es einige, dieser hier ist mein neuester. Ich bin ausgesprochen guter Dinge als ich lese: "Die Leser sollten sich auf die Ideen konzentrieren können, denn diese sind intuitiv viel verständlicher als die präzisen logischen Deduktionen."
Verfasst wurde dieses Buch von Frank Verstraete, Professor für Quantenphysik in Cambridge, und seiner Frau Céline Broeckaert, Schauspielerin, Autorin und Künstlerin, die von sich schreibt: "Ich arbeite, lebe und denke vor allem intuitiv. Für mich besteht das Leben aus einer einzigen Abfolge von Überraschungen und Begegnungen, mit viel Raum für Zufall. Während ich dem Professor zuhörte, stellte ich fest, dass wir uns gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Eigentlich sind wir in unserem Denken ähnlich und beide von der gleichen Sehnsucht nach Schönheit beseelt." Da ich diese Sehnsucht teile, gehe ich dieses Werk höchst positiv gestimmt an.
Zugegeben, auch dieses Mal habe ich vieles nicht verstanden, einiges aber eben doch. So etwa das kontraintuitive Gesetz, dass schwerere Objekte genauso schnell herabfallen wie leichtere. Oder: "Wie gross der Ausschlag eines Pendels auch immer sein mag, die Zeit, die für eine Schwingung benötigt wird, bleibt immer gleich." Galileo Galilei hat das herausgefunden.
Zu wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangt man durch Experimente. Wissenschaftlich zu arbeiten bedeutet also, Experimente zu finden, die eine Idee verifizieren bzw. falsifizieren können.
Für einen Physiker, so stelle ich mir vor, wird wohl vieles in diesem gut geschriebenen Werk nichts Neues sein. Für mich jedoch, für den die Mathematik, von der ich zwar weiss, dass sie eine universelle Sprache ist (und Sprachen fallen mir nicht schwer), weitestgehend unverständlich geblieben ist, ist ganz vieles nicht wirklich verständlich, doch gelegentlich scheine ich zum ersten Mal zu verstehen, was mein Hirn bislang einfach nur registriert hat. Etwa, dass "Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann; Energie kann nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden."
Warum niemand die Quantentheorie versteht. Aber jeder etwas darüber wissen sollte ist clever aufgebaut und mit einer Anleitung versehen, wie es gelesen werden sollte. Unter anderem halten Autor und Autorin fest: "Das Wesen der Quantenphysik liegt nicht in der Mathematik. Viel wichtiger sind die Ideen, die ihr zugrunde liegen (...) Die Quantenlogik ist sehr kontraintuitiv, und manchmal ist es unmöglich, sie zu erfassen." Auch gibt es vor jedem Kapitel eine Kurzzusammenfassung sowie zum Schluss ein Glossar.
Mich fasziniert dieses Werk wesentlich deswegen, weil die Quantenphysik an unserem Weltbild rüttelt, das meines Erachtens allein von unserem Lebenswillen und nicht von der Realität bestimmt ist. "Gott würfelt nicht", meinte bekanntlich Einstein. Und das meint: Es gibt keinen Zufall. "In der Quantenphysik stellt sich die Situation völlig anders dar. Zufall und Wahrscheinlichkeiten spielen hier eine zentrale Rolle. (...) Die Wellenfunktion bestimmt die Wahrscheinlichkeit, mit der man dieses oder jenes Ergebnis erhalten wird."
Wir wollen, dass die Welt stabil ist. Das ist sie einerseits auch, andererseits aber eben nicht. Klassische Physik und Quantenphysik existieren nebeneinander. "Die klassische Physik bleibt nach wie vor gültig, vorausgesetzt, wir haben es mit grossen Objekten zu tun." Die Quantenphysik hat hingegen mit der mikroskopischen Welt zu tun, die kein Spiegelbild der makroskopischen Welt darstellt, sondern nach ganz eigenen Gesetzen funktioniert."
"Die Welt ist wirklich nicht so, wie man sie sieht. Die Realität ist viel beeindruckender." Das ist keine Behauptung, sondern durch Experimente nachgewiesen. "Quantenphysik kann uns die Augen öffnen, aber sie ist kein Weg zur Erleuchtung; sie lässt sich nicht auf unsere Alltagserfahrungen anwenden." Man kann das nicht genug betonen. Wissenschaft bedeutet, etwas zu messen; das Unbewusste lässt sich (bis jetzt jedenfalls) nicht messen.
Neben für mich ganz vielen neuen Erkenntnissen, ist dieses Werk auch vielfältig unterhaltsam und informiert etwa über den klügsten Mensch der Welt (John von Neumann, 1903-1957) sowie über Klatschgeschichten, und es berichtet von Menschen, die besessen waren (Paul Diriac, Albert Einstein, John Keats), "von der Schönheit der Formeln der Physik: 'Beauty is truth, truth is beauty – that is all ye know on earth, and all ye need to know'"
Fazit: Ich verstehe die Quantentheorie nach wie vor nicht, doch ich weiss jetzt etwas darüber. Ein höchst empfehlenswertes, vielfältig anregendes Buch
Frank Verstraete / Céline Broeckaert
Warum niemand die Quantentheorie versteht
Aber jeder etwas darüber wissen sollte
C.H. Beck, München 2025

