Vom Augenblick wissen wir, dass er nicht zu fassen ist, denn er steht ausserhalb der Zeit, zu deren Eigenheiten die Dauer gehört. Albert Einstein war gemäss dem Philosophen Rudolf Carnap offenbar der Ansicht, „es gebe etwas Wesentliches bezüglich des Jetzt, das schlicht ausserhalb des Bereichs der Wissenschaft liege.“ Das liegt daran, dass die Wissenschaft sich am Messen bzw. am Zählen orientiert, von dem Einstein einmal gesagt hat: Nicht alles, was zähle, könne auch gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden könne, zähle auch etwas.
Claude Simon, Nobelpreis für Literatur 1985, macht darauf aufmerksam, dass der Fotographie „eine ziemlich seltsame Macht“ eigne, die ihn immer wieder in Erstaunen setze. „Es ist die Macht, festzuhalten und zu speichern, was unser Gedächtnis selbst zu behalten ausserstande ist, nämlich das Bild von etwas, das nur in einem winzigen Bruchteil der Zeit stattgefunden und existiert hat.“
Dieses Bild habe ich am 22. November 2020 in Château-d’Oex aufgenommen; möglich war dieses Foto nur in einem einzigen Augenblick, dem Moment der Aufnahme, niemals vorher und niemals nachher hat diese Szene genauso ausgesehen.
Fotografie wird oft mit dem Anhalten der Zeit in Verbindung gebracht, doch so recht eigentlich ist das falsch, denn der Augenblick ist keine Kategorie der Zeit, entzieht sich einem Vorher und Nachher. Die Fotografie hält fest, was das Gedächtnis nicht festhalten kann.
Betrachte ich jedoch diese Aufnahme, stellt sich automatisch die Zeit ein, denn ich sehe nicht nur diesen Augenblick, sondern noch ganz viele andere Bilder, die mich an den damaligen Aufenthalt erinnern. Dazu kommen noch ganz ganz viele weitere Bilder, die mit meinem damaligen Aufenthalt überhaupt nichts zu tun haben. Mein Hirn macht eben, was es will; es ist ausgesprochen selbstständig unterwegs und an meinen Hoffnungen und Wünschen offenbar wenig interessiert.