"Wer sich auf die Abläufe im klösterlichen Leben einlässt, der spürt auch: Es geht nicht darum, ständig etwas tun oder leisten zu müssen. Es genügt, einfach hier zu sein. Die 'Barmherzigkeit', die die Heitersheimer Schwestern in ihren Ordensnamen tragen, liegt nicht allein in ihrem karitativen Tun, sondern auch – und heute vielleicht mehr denn je – in ihrer Präsenz, im stillen und diskreten Wachhalten der Ahnung von einem anderen Leben", schreibt Joachim Frank in seinem Vorwort.
Betrachte ich die untenstehende Aufnahme, so kann ich die Gemeinsamkeit spüren, deren wir ach so individuell-konditionierten Glücksucher so dringend bedürfen.
"Der Künstlerin Kathrin Haller ist es in vielen Besuchen gelungen, intime Gespräche mit den Schwestern zu führen", lese ich im Klappentext. Nun ja, Frau Haller hat nichts anderes getan als den 25 Nonnen des Ordens der "Barmherzigen Schwestern", die sich um Bedürftige sorgen, Findelkinder aufnehmen sowie Gefangene und psychisch Kranke betreuen, die folgenden elf Fragen zu stellen: Wie kam es zu der Entscheidung, ins Kloster zu gehen? Welche Arbeit haben Sie gemacht und wo war das? Was haben Sie in Ihrer Freizeit gemacht? Was ist gut daran, in einem Orden zu leben? Fühlen Sie sich manchmal einsam? Was waren glückliche Momente in Ihrem Leben? Gab es auch Momente, in denen Sie mit Gott gehadert haben? Wenn Sie zurückschauen, wie würden Sie Ihr Leben beschreiben? Wenn Sie noch einmal von vorne anfangen könnten, was würden Sie anders machen? Viele Menschen finden keinen Sinn in ihrem Leben. Was ist wichtig für ein erfülltes leben? Was ist das Wichtigste im Leben?
Mich haben diese vorformulierten Fragen an Fragebogen-Fragen erinnert. Und an die Erkenntnis von Janet Malcolm, die sie in "The Journalist and the Murderer" aufgeschrieben hat: Ein Kollege von ihr und sie selber hatten die Aufgabe, anlässlich eines Mordprozesses einen Mann zu befragen. Der Kollege tat dies mittels vorformulierter Fragen, sie selber machte sich über den Hintergrund des Mannes kundig und wollte sich auf ihr Einfühlungsvermögen verlassen. Die Antworten waren in beiden Fällen genau dieselben. Janet Malcolm erklärte es sich so: Wenn einer reden will, so wird er reden, völlig unabhängig davon, wer wie die Fragen stellt.
Das gilt auch für vorliegende Buch. Einige der Antworten geraten ausführlich, andere recht kurz. Besonders gut gefallen hat mir, was Schwester Brigitta, Jahrgang 1941, auf die Frage: Wenn Sie noch einmal von vorne anfangen könnte, was würden Sie anders machen? geantwortet hat: "Nochmals von vorne anfangen gibt es nicht! Der Ruf Gottes gilt für mich gestern und heute und diesem folge ich." Es gibt noch viele andere Antworten in diesem schön gemachten Werk, die ich anregend finde und die die Lektüre lohnen. Vor allem aber vermittelt mir dieses Buch den Eindruck, dass diese Nonnen einverstanden sind mit ihrem Leben und ihrem Schicksal. Mehr kann man so recht eigentlich gar nicht wollen.
Ganz wunderbar gelungen sind auch die Aufnahmen von Andree Kaiser, der die Nonnen und ihren Alltag "fotografisch in Szene setzte".
Barmherzige Schwestern
25 Nonnen erzählen von Liebe, Leid und Leben
Ankerherz Verlag
Hollenstedt 2011