Wednesday, 30 July 2014

Thomas Kalak: Archäologie

Im Grusswort des Direktors des Landesverbandes Westfalen Lippe (LWL) lese ich, dass den freischaffenden Fotografen Thomas Kalak "das ästhetische Spannungsfeld" zwischen prachtvoll arrangierten Bildbänden und rein illustrativen wissenschaftlichen Veröffentlichungen interessiere und will gleich gestehen, dass ich nicht wirklich verstehe, was ein ästhetisches Spannungsfeld sein soll und die Beschäftigung mit den Fotos in diesem Band, die derselbe Direktor treffend als "unaufgeregt und sachlich ... aber immer auch ein wenig geheimnisvoll" charakterisiert, hat mich diesbezüglich nicht weiser gemacht. Ausgelassen habe ich seine Bemerkung, Kalaks Blick hinter die Kulissen sei "fast dokumentarisch", denn fast dokumentarisch gibt es genauso wenig wie fast schwanger.
"Von überholten Klischees" ist ein zweites Grusswort betitelt, worin darauf hingewiesen wird, dass in der täglichen Arbeit der LWL-Archäologie Lösungswege gefunden werden müssen "zwischen Forschung, Zerstörung, Nutzung, Erhalt und touristischer Inwertsetzung archäologischer Fundstätten". Dann folgt ein Essay von Rasmus Kleine, der so beginnt: "Die Schlagzeile der Bild-Zeitung thematisiert die Euro-Krise, scheinbar verloren in der Landschaft ist eine mobile Toilette abgestellt und eine Playmobil-Figur, bewaffnet mit Speer und Schild, steht auf einem Schreibtisch – manch einer mag sich fragen, was diese vordergründig belanglosen Bilder mit Archäologie zu tun haben ...". Ich hätte mir darauf eine Antwort gewünscht, doch ausser dass etwa die Bild-Zeitung mit "den persönlichen Vorlieben der Menschen, die hinter dem Wissenschaftler stehen, zu tun haben", erfährt man da nichts.
Trotzdem: Rasmus Kleines Essay ist eine gelungene Einführung in diesen Band und so recht eigentlich eine gute Anleitung, wie dieses Werk von bleibendem Nutzen sein kann. Ohne diesen hilfreichen und nötigen Text wären Thomas Kalaks Bilder für einen Laien kaum verständlich, denn obwohl Kalak die Anordnung der einzelnen Bilder festgelegt hat, folgt er keiner "stringenten Logik", sondern sei "eher dramaturgisch-ästhetisch motiviert", meint Rasmus Kleine, der einfühlsam interpretiert und nachzuvollziehen versucht, was den Fotografen wohl geleitet haben mag. Ich finde das grösstenteils überzeugend, auch wenn er mit einem Satz endet, der nichtssagender und auch falscher nicht sein könnte: "Es gehört zur Stärke der Bilder, dass sie Geschichten in Gang setzen – und immer wieder dazu anregen, über die Entstehung von Geschichte nachzudenken." Bilder setzen keine Geschichten in Gang, Bilder lösen Gefühle aus. Ob wir diese in eine Geschichte zwängen wollen, ist eine ganz andere Frage.

Thomas Kalaks Aufnahmen haben mich neugierig gemacht, mich zu Fragen angeregt. Vor allem habe ich mich gefragt, weshalb er mir nicht sagt, was ihm bei den einzelnen Aufnahmen durch den Kopf gegangen ist. Ich weiss, ich weiss, er ist Fotograf, er zeigt mir, was er gesehen und eingerahmt hat. Sein Medium ist das Bild und nicht das Wort. Und zugegeben: mir gefällt vieles von dem, was meine Augen mir zeigen. Auch wenn mich diese weithin akzeptierte fotografische Praxis, bei der mir einfach Bilder vorgesetzt werden (was ist der Unterschied zu einem Kind, das auf etwas zeigt und "guck mal" sagt?), zunehmend irritiert. Obwohl: dass sich Thomas Kalak bei der Zusammenstellung dieses Bandes Gedanken gemacht hat, lässt sich aus der Gliederung ablesen. 

Wir können nur er-kennen, was wir kennen, hat Goethe gesagt. Weshalb denn auch ein Bildband über Archäologie (von der ich so ziemlich gar nichts weiss), Erläuterungen und Erklärungen seitens des Fotografen verlangen. Dies gesagt, gebe ich gerne zu, dass zahlreiche Aufnahmen in diesem Band mich ganz einfach der Komposition wegen angesprochen haben.

Thomas Kalak
Archäologie
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2014

Wednesday, 23 July 2014

The blue guitar

They said, ‘You
have a blue guitar,
You do not play
things as they are.’
The man replied,
‘Things as they are
Are changed upon
the blue guitar.’

Wallace Stevens

Wednesday, 16 July 2014

Tobias Madörin: Topos

Anlässlich der Buchvernissage in der Photobastei in Zürich stand ich längere Zeit vor einer grossflächigen Aufnahme, die ein Meer von Hochhäusern zeigte und die, wäre da nicht auf einem der Wolkenkratzer Banco do Brasil gestanden, eigentlich überall auf der Welt hätten stehen können. Und wenn man es recht bedenkt, ändert auch die Aufschrift Banco do Brasil nichts daran, denn diese Bank hat auch Aussenstellen in anderen Ländern. Nur eben: die Bildlegende sagte, es handle sich um die Avenida Paulista in São Paulo, aufgenommen im Jahre 2002. Wie Schubladen kämen ihm einige dieser Gebäude vor, sagt der Mann neben mir und kaum hat er dies gesagt, sehe ich überall Schubladen auf dem Bild.
Jänschwalde, Deutschland, 2005 © Tobias Madörin

Vor dem obigen Bild, das die ganze Wand einnimmt, steht eine Frau, die mir gefällt. Ich spreche sie an. Wüsste man nicht, wo das aufgenommen worden sei, könnte das eigentlich überall stehen, auch in Hong Kong (ich zeige auf eine Aufnahme an der gegenüberliegenden Wand; ich habe gelesen, sie sei in Hong Kong gemacht worden), sage ich. Nein, nein, erwidert sie, hier werde Kohle gefördert, das sei ein Tagebauwerk, als Kind habe sie in einem solchen gespielt. Sie stammt aus dem Osten Deutschlands, lebt aber schon länger in Zürich. Ich kann mir bestens vorstellen, wie sie als Kind in dieser Umgebung gespielt hat. Und sehe jetzt eine ganz andere Aufnahme als noch kurz zuvor. 
Salinas Grandes, Argentina, 2011 © Tobias Madörin

Häufig ist es die Information zum Bild, die meine Wahrnehmung lenkt, beeinflusst, ja bestimmt. Weswegen denn auch eine Bildlegende wie "Salinas Grandes, Argentina" einigermassen problematisch ist, denn in Argentinien gibt es drei solcher Salzwüsten, eine im Osten, eine im Nordosten und eine im Süden. Um welche es sich bei diesem Bild handelt ist nicht klar, aber vielleicht ist es ja auch egal, vielleicht sehen die ja alle ähnlich aus.
Playa de Levante, Benidorm, España, 2002 © Tobias Madörin

 Ich weiss nicht, was ich mit diesem Bild machen soll, was ich davon halten soll. Doch die Komposition gefällt mir; ich stelle mir vor, dass die Badenden wohl alle in diesen Gebäuden Platz finden würden. 
Weesen, Schweiz, 1999 © Tobias Madörin

Es ist das Privileg des Fotobetrachters, dass ihm egal sein kann, was der Fotograf für Absichten gehabt hat, als er seine Aufnahmen gemacht hat. Und so betrachte ich nun also einige halb im Wasser stehende Häuser in Weesen. Ich irre mich, denn offenbar handelt es sich um eine Landhausvilla mit Garage, wie ich aus dem Begleittext von Nadine Olonetzky erfahre. "Der Pegelstand zieht eine Linie durch das Anwesen, das Inbegriff ist einer neureich-kleinkarierten Wohnidylle. Er bildet zugleich die Spiegelachse, an der die Szenerie nach unten geklappt und auf den Kopf gestellt ist: Zedern, Buchen, Föhren, ein Berg und Wolken spiegeln sich malerisch in der Wasserfläche, und so wird das Anwesen zu jenem Wolkenkuckucksheim, das es eigentlich auch ohne Flut schon ist. Als gebaute Fiktion ist es beispielhaft für viele Material gewordene Lebensentwürfe oder Wunschträume. Gleichzeitig stellt das Haus im Wasser einen Topos dar für die existenzielle Gefährdung, in welcher der Mensch nun einmal zu leben hat und die letztlich durch kein noch so hübsch konstruiertes Privatparadies zu eliminieren ist." Es versteht sich: die Häuser, die ich jetzt sehe, sind etwas ganz anderes als die Häuser, die ich zuvor gesehen habe. Auch wenn die Aufnahme noch immer dasselbe zeigt: einige halb im Wasser stehende Häuser.

Tobias Madörin
Topos
Herausgegeben von Nadine Olonetzky
Scheidegger & Spiess, Zürich 2014

Wednesday, 9 July 2014

In Chiang Mai

It's probably twenty years since I've last been to Chiang Mai and, needless to say, the city has considerably changed and is by now, I'm told, four times bigger than it then was. There are however also things that feel pretty much the same - the early morning hours, for instance, that I feel attracted to because of the light, the calm, the people sweeping their house entrance ... I love taking part in how a day comes into being ...
I almost always feel good in Thailand. I like the climate, the food, and I like the people. It's to do with their easy-going manners. Many years ago, I landed at Phitsanulok airport. There was no bus, no taxi, no tuk tuk. I asked an airport official how I could get to town. Moment please, she said, left the room and came back after a few minutes: My master will drive you, she let me know. Her master turned out to be the airport chief who wanted to know what my plans were. I think of going to Mae Hong Song, I said. How? By bus I think. No good idea, he informed me, many curves. You better do it the Thai way. And what is the Thai way? Easy, he said, you fly. And that is what I eventually did.
Some weeks ago, the military took over governing the country, there are soldiers on the streets, they appear friendly. A charm offensive, comments a New Zealander who welcomes the military presence. It was really dangerous in Bangkok before the coup, he says.

A lady in her sixties from Geneva tells me that the Swiss embassy in Bangkok discourages tourists from visiting. It wouldn't occur to me to seek advice from an embassy when wanting to know what is going on in a country.
At the hotel swimming pool: A cute couple in their early twenties from Scotland - he's very white, tattoos cover almost his entire body, she's got light-brown skin and a tattoo on her left thigh - ask me whether the water in the pool is cold. I'm not sure whether they are joking but they are not. About 23 degrees, I would guess. Too cold, says the young guy, his girlfriend eventually jumps in and survives.

Carol Hollinger, in her wonderful Mai Pen Rai Means Never Mind describes how the school where she was teaching went on a trip to the sea. The totally overloaded bus was eventually stopped by a police officer ... who objected that the number plates were upside down.

In order to understand Thai mentality, it is useful to have a closer look at Thai traffic. To be sure, there are rules but don't count on them being diligently observed. It would be against Thai mentality to enforce traffic rules, I remember a Thai police general once saying. Another Thai general, many years ago, suggested that to avoid traffic jams all traffic lights should be permanently put on green.

Muddling through does not seem to be an option in business plans, Chris Patten, the last Governor of Hong Kong, wrote in East and West, it is however good advice for surviving Thai traffic. Moreover, it will help you go through it creatively and elegantly.

Wednesday, 2 July 2014

Fotos für die Pressefreiheit 2014

Artikel 19 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 sagt: "Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäusserung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten zu vertreten sowie Informationen und Ideen mit allen Kommunikationsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten."

Ausdruck dieser Meinungsäusserungsfreiheit ist auch die Pressefreiheit, die im vorliegenden Band, der aus Anlass des 20jährigen Bestehens von "Reporter ohne Grenzen" erscheint, ihren visuellen Ausdruck findet.

Das Titelbild zeigt Edward Snowden, der mit seinen Enthüllungen über die weltweiten Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA klar gemacht hat, dass das Freiheitsgeschwafel von Politikern nichts als Propaganda ist und wir schon längst in einem Überwachungsstaat leben.

Ich bin diesen Band mit einiger Skepsis angegangen, da ich wie der deutsche Journalist Paul Sethe (1901-1967) der Meinung bin, bei der Pressefreiheit handle es sich um "die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten."  Umso überraschter war ich dann, dass mich die Beschäftigung mit den Fotos für die Pressefreiheit 2014 nachhaltig beeindruckte.

Erwartet hatte ich die üblichen Pressebilder aus den mittlerweile vertrauten Kriegsgebieten und natürlich finden sich solche Aufnahmen auch in Fotos für die Pressefreiheit 2014, doch eben nicht diese sattsam bekannten, in denen man zielende Scharfschützen zu sehen kriegt, sondern einen schweren Wintersturm in Damaskus oder eine Schulklasse afghanischer Flüchtlingskinder ausserhalb von Jalalabad im Sand auf einem Teppich sitzend ihrem Lehrer lauschend.

Glänzend gelungen ist Misha Friedman die visuelle Darstellung der Korruption in Russland. So zeigt ein Bild eine von Autoscheinwerfern beleuchtete Strasse, deren Asphalt reparaturbedürftig ist. Der Text dazu sagt, dass trotz Investitionen in Milliardenhöhe zur Sanierung des russischen Strassennetzes zentrale Landstrassen schwer befahrbar geblieben sind. Auf einem anderen Foto sieht man einen Mann in einem Saal an einem Fenster stehen. "Ein Mann blickt im Konstantin-Palast in St. Petersburg gelangweilt aus dem Fenster", liest man in der Bildlegende. Mir gefällt das Bild, mir kommt der abgebildete Mann einsam vor, doch woher will der Fotograf wissen, ob er "gelangweilt" war?

Überzeugend auch die Porträtierung des Teams der Tageszeitung Folha de S. Paulo durch den Brasilianer André Vieira, dessen Reportage sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass es neben den Bildlegenden auch einen höchst informativen Begleittext zu lesen gibt, der Auskunft über den Fotografen, sein Herkommen, seine Interessen sowie das Entstehen des Folha de S. Paulo-Porträts gibt. Dasselbe lässt sich auch sagen über Zhang Keghuns Bericht über die Verschmutzung des Gelben Flusses und Poulomi Basus Reportage über die Arbeit der Soldatinnen beim indischen Grenzschutz. Und über so recht eigentlich alle Beiträge in diesem anregenden, informativen und sehr empfehlenswerten Band.
Copyright @ Poulomi Basu
Eine Einheit von 118 Frauen wartet im Morgengrauen
im Herlager Khatka, Punjab, auf den Beginn ihres Trainings.

Fotos für die Pressefreiheit 2014
20 Jahre Reporter ohne Grenzen
taz Verlags- und Vertriebs-GmbH, Berlin
Vertrieb Schweiz: Benteli Verlag, Sulgen