Die Zeit des Lichts (The Age of
Light im englischen Original) ist ein überaus treffender Titel, um
das Leben einer Fotografin zu beschreiben, vor allem einer so
vielfältig begabten wie Lee Miller, die sich sowohl als Mode-,
Porträt- wie auch als Kriegsfotografin einen Namen gemacht hatte.
Der Auftakt zu diesem Debütroman
könnte gelungener kaum sein. Es ist das Jahr 1966 und Lee Miller
lebt mit ihrem Mann Roland Penrose auf der Farley Farm im englischen Sussex.
Sie erwarten Gäste, Lee ist in der Küche zugange und trinkt. Als
Leser glaubt man bei diesem Alkoholabsturz mit dabei zu sein, so
realistisch wird er von Whitney Scharer geschildert.
Rückblende: Paris 1929. Die
dreiundzwanzigjährige Lee, die zuvor in New York für Edward
Steichen und Condé Nast als Model gearbeitet hatte, lernt Man Ray
kennen und will von ihm das Fotografieren lernen. "Hier in
Paris, wo sie noch einmal von vorn anfangen will, wo sie Kunst machen
will, statt dazu gemacht zu werden, kümmert sich niemand gross um
ihre Schönheit." Wobei: Letzteres ist irgendwie schwer
vorstellbar.
Ein Zeitensprung. London 1940. Es
herrscht Krieg, beim Pfeifen der Bomben wird ihr regelmässig
schwindelig. "Niemand, dem sie erklären kann, wie sehr sie sich
nach dem Morgen danach sehnt, wenn sie mit der Kamera durch die
ausgebombte Stadt läuft, die sich wie von einem surrealistischen
Bühnenbildner vor ihr ausbreitet. Eine zerstörte Kirche, und auf
den Trümmern schwankend eine völlig unversehrte Schreibmaschine.
Eine Statue, von der nur noch der flehende Arm übrig ist. Ihre
dunkle Seite, die sich an der Ungezügeltheit der Explosionen
erfreut." Besser kann man kaum zeigen, wie Worte Bilder im Kopf
entstehen lassen.
Die dunkle Seite, die Whitney Scharer
an Lee Miller wahrnimmt, manifestiert sich als eine Art
Abgespalten-Sein. Im Hotelzimmer mit einer Zufallsbekanntschaft: "Lee
spürt, wie ihr Geist sich von ihr löst, wie so oft beim Sex, und
sie schwebt über dem Bett und blickt auf sich herab." Am
nächsten Morgen fühlt sie "sich so wie meistens: eingesperrt,
erdrückt und vor allem unglaublich gelangweilt."
Doch zurück nach Paris, wo Man Ray sie
in die verschiedenen Aspekte der Fotografie einführt. Sie verliebt
sich in ihn, sie werden ein Paar, sind sich ähnlich in ihrer
Besessenheit. "Tagelang nimmt Man keine Kunden an. Sie
schliessen die Tür zum Studio ab. Lee geht nichts ans Telefon."
Woher weiss die Autorin das? Immer wieder muss ich mich daran
erinnern, dass dies ein Roman beziehungsweise eine Romanbiografie
ist. Die Zeit des Lichts
ist auch die Geschichte zweier talentierter, egomanischer und
obsessiver Menschen.
Wiederum ein Zeitensprung. Juli 1944.
Normandie. Lee knipst Fotos in einem Lazarett. Die Logik dieser
Zeitensprünge erschliesst sich mir nicht; mein Interesse, ja, meine
Neugier für diese Biografie schmälert das allerdings nicht. Die
Passagen über ihre Zeit als Kriegsfotografin liefern auch
historische Aufklärung. "Lee erfährt, wie die Nazis sich der
Gefangennahme entziehen. Gift, Kugeln, Stricke (…) Jemand erzählt
ihr, jeder einzelne Nazi im Leipziger Rathaus habe Selbstmord
begangen. Dafür hasst sie sie nur noch mehr, die Feiglinge."
(Leipzig, 20. April 1945).
Sie lernt Jean Cocteau und andere
Surrealisten kennen. Und entdeckt, dass ihr die Schauspielerei liegt.
Sie modelt für den
Perfektionisten George Hoyningen-Huene, zusammen mit Horst P.
Horst, der wie sie auch lieber auf der anderen Seite der Kamera
arbeiten würde. "Neben dem Modeln nimmt
sie kleine Schreibaufträge an, hauptsächlich belangloses
Zeug, aber es macht ihr Spass, die Storys in die Maschine zu hämmern,
und noch schöner findet sie es, ihren Namen daneben stehen zu
sehen."
Lee Miller, wie sie Whitney Scharer
schildert, war eine überaus komplexe, rastlose und clevere, von
starken Emotionen dominierte Frau voller Abgründe, deren Verständnis
von Fotografie mir sehr sympathisch ist. "... sie glaubt eben
nicht, dass Kunst immer eine Botschaft transportieren muss. Am besten
findet sie die Sachen von Man, die keine Erklärung brauchen, keinen
Kontext, die einfach nur ein Gefühl in ihr auslösen."
Fazit: Ein überaus einfühlsames, gut
erzähltes, differenziertes und überzeugendes Porträt.
Whitney Scharer
Die Zeit des Lichts
Klett-Cotta, Stuttgart 2019