Wednesday 7 June 2023

Ljubljana und Slowenien

Als ich im September 2018 Ljubljana besuchte, wusste ich von Slowenien gerade einmal, dass Peter Handke einen Roman des slowenischen Autors Florian Lipus ins Deutsche übersetzt hatte. Und so suche ich im Inhaltsverzeichnis zuerst nach ihm, finde ich jedoch nichts, dafür stosse ich auf Peter Handkes Die Wiederholung. Mein zweiter Bezug zu Slowenien ist der Dirigent Carlos Kleiber (er war mit der slowenischen Tänzerin Stanislawa Brezovar verheiratet), dessen Grab in der Nähe von Litija liegt.

Ljubljana und Slowenien versammelt Kurzgeschichten, Gedichte sowie Auszüge aus Büchern, heisst im Untertitel "Eine literarische Einladung" und so stellte ich mir eine Sammlung von Texten vor, die von Ljubljana und Slowenien handeln bzw. dort spielen oder darauf Bezug nehmen. Bei einigen ist das auch tatsächlich der Fall, bei anderen jedoch nicht. Ich habe keine Ahnung, weshalb der Herausgeber diese Texte ausgewählt hat, erklärt wird es nicht.

Die Beiträge stammen von im Land Ansässigen wie auch von Besuchern. Wenig überraschend ist denn auch der Blick von aussen oftmals ein anderer, auch natürlich, weil es recht schwierig ist, über das zu schreiben, was man dauernd vor der Nase hat beziehungsweise riechen kann. So schreibt etwa Drago Jancar, über Ljubljana, die Stadt, in der er lebt: "Die Mülltonnen sind dermassen voll, dass ihr Inhalt auf den Bürgersteig quillt. Darüber hinaus riechen sie übel, besonders im Sommer. Der Gestank hindert die Menschen daran, über die Identität ihrer Stadt nachzudenken."

Gegliedert ist der Band in drei Teile: Slowenien, Ljubljana und Metaphern für Fragmente des Ganzen (was auch immer das heissen mag), ergänzt von Biografien und Quellen. Ich blättere hin und zurück, zum ersten Mal in einen Text reingezogen fühle ich mich bei Marusa Kreses "Weihnachten", vermutlich, weil sie grundsätzlich und praktisch unterwegs ist und mich das anspricht. "'Sie haben Weihnachten versäumt', sagt der slowenische Zöllner und winkt uns freundlich durch. Gott sei Dank, denke ich und überlege, ob der Zöllner wohl an die Weihnachtsansprache des Bischofs denkt, wenn er uns darauf aufmerksam macht, dass wir Weihnachten versäumt hätten. Hält der slowenische Präsident auch eine Weihnachtsansprache? Ich muss mich unbedingt erkundigen."

Ebenfalls sehr angesprochen hat mich "Die U-Bahn" von Suzana Tratnik. "Die Ausstellung über den Plan für ein U-Bahnnetz in Ljubljana wurde von meiner Bekannten Ines organisiert." Das Verhältnis zu besagter Ines ist ... selber lesen, es lohn sich, denn es ist sehr witzig geschrieben, kritisch und selbstkritisch.

Besonders aufschlussreich ist Fiona Sampsons "Der Karst", ein Text, der unter anderem davon handelt, dass Slowenien ja ein recht neues Land ist, was für nicht wenige auch ziemlich verwirrend ist. "Im neuen Slowenien hat er darunter gelitten, dass er ethnisch kein Slowene, sondern Bosnier ist. Als das Land unabhängig wurde, waren viele seiner Bewohner keine ethnischen Slowenen, obwohl sie natürlich Bürger Jugoslawiens gewesen waren. Der geschrumpfte Staat und mit ihm die Staatszugehörigkeit endete plötzlich an neuen Grenzen. Mehrere unserer Freunde verloren ihre beruflichen Stellungen ...".

Mein Lieblingsgeschichte ist von Ana Svetel. Sie handelt von ihrem Verlobten, der ein Sauberkeitsfanatiker ist und für einen stark reduzierten Staubsauger einiges auf sich nimmt. "... wir standen Schlange, geduldig wie zwei Österreicher ...". Seither sehe ich Österreicher mit anderen Augen.

Ljubljana und Slowenien, eine bunte Palette unterschiedlichsten Texte, macht neugierig, genau wie das eine Einladung machen soll.

Ljubljana und Slowenien
Eine literarische Einladung
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023

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