Mit Jahrgang 1953 gehöre ich der Nach-68er-Generation an, von der ich vor allem in Sachen Rock und Pop (und dem damit verbundenen Lebensgefühl) stark beeinflusst bin. Zu den positiven Errungenschaften dieser Generation gehört für mich das Zurückdrängen des Einflusses der katholischen Kirche, die unter anderem vorehelichen Sex als Sünde brandmarkte und mit Hölle und Fegefeuer drohte. Was Susanne Schröter in Der neue Kulturkampf über Islamisten berichtet, gemahnt nicht nur an diese lebensfeindliche Haltung, sondern macht mir auch bewusst, dass der Westen sich diesbezüglich positiv entwickelt hat, wenn auch hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen.
In meinen Jugendjahren fand ich die Idee des friedlichen Nebeneinanders der Kulturen faszinierend und attraktiv, heutzutage ziehe ich den nüchternen Blick der romantischen Schwärmerei vor. Der Mensch kann bekanntlich vieles glauben. So halten sich etwa in der Schweiz Leute im einen Dorf für definitiv nicht vergleichbar mit denen, die ein paar Kilometer weiter wohnen. Für mich läuft das unter Folklore, anderen ist bierernst damit. Dass Muslime zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterscheiden, ist für mich genauso jenseits von Gut und Böse; für diejenigen, die das anders sehen, ist meines Erachtens kein Platz in der westlichen Welt.
Was in deutschen Moscheen gepredigt wird, ist neben dem Überlegenheitsgefühl die Separation, so Susanne Schröter. Es gibt sogar Imame, die Mitglieder ihrer Gemeinde davor warnen, mit Nichtmuslimen Freundschaft zu schliessen. Auch ohne einschlägige Untersuchungen weiss man, dass Muslime mit Westlern nichts zu tun haben wollen bzw. glauben, Nichtmuslime hätten sich gefälligst ihnen anzupassen. Dem Mann, der nicht von einer Ärztin behandelt werden will, sollte, wie ich finde, der Zutritt zum öffentlichen Gesundheitssystem verunmöglicht werden. Das geht juristisch nicht? Nun ja, westliche Gesetze sind nicht von Gott, sondern von Menschen gemacht, und könnten ohne weiteres (Juristen mit Macht auszustatten, ist ein Fehler, wie uns die Nazizeit gelehrt hat) geändert werden.
"Woke Ideologien entstammen den Universitäten", so die Universitätsprofessorin Susanne Schröter. Das erstaunt nicht wirklich, sind Universitäten doch Einrichtungen, in denen vielen der darin Beschäftigten allzu vieles zu Kopf steigt und diesen vernebelt. Man ist gut beraten, solche Leute nicht allzu ernst zu nehmen und seinen eigenen Weg zu gehen. "Ich liess mich auf das Wagnis ein, die akademische Blase sprachlich zu verlassen, und je besser ich verstanden wurde, desto zufriedener wurde ich mit mir."
Susanne Schröter tut das, was Immanuel Kant gefordert hat: Sie bedient sich ihres eigenen Verstandes. Viele sind dazu zu feige oder zu faul. Susanne Schröters Argumente sind Ausdruck des gesunden Menschenverstands, der allerdings immer weniger verbreitet scheint. Sadly, common sense is not very common.
Sie bezieht Position, spricht sich gegen die Verschleierung von Mädchen aus, argumentiert differenziert und nachvollziehbar, lässt sich auf Debatten ein. Sich mit einem Thema auseinanderzusetzen ist eben das, was Akademiker tun. Und das ist ein Problem, denn islamo-linke Aktivisten sind weder an der Auseinandersetzung noch an Debatten interessiert, für sie ist das ein Machtkampf bzw. ein Kulturkampf. Und das ist es in der Tat. Wer das akzeptiert, sucht nicht den Dialog, sondern den Widerstand, der auch, jedenfalls meiner Ansicht nach, darin bestehen sollte, sich den Aktivisten zu verweigern.
"Die überwiegende Mehrheit der Forscher hat sich darauf verständigt, den ungebremsten Zustrom von Zuwanderern nach Deutschland zu verteidigen und Steuerungsmassnahmen als Menschenrechtsverletzungen zu skandalisieren. Integrationsprobleme werden systematisch ausgeblendet oder der deutschen Bevölkerung zur Last gelegt. Meilenweit von den tatsächlichen gesellschaftlichen Problemlagen entfernt ist an den Hochschulen ein Paralleluniversum entstanden, dessen Protagonisten weitgehend um sich selbst kreisen."
Treffender kann man die akademische Welt und das Thema Migration kaum zusammenfassen. Nur eben: Was an den Universitäten, und speziell in den Geisteswissenschaften, so abgeht, hat mit der sogenannt realen Welt noch nie viel zu tun gehabt. Sich die Dissertationsthemen anzuschauen genügt. Mir scheint, die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verwerfungen (von Asylanten, die keine Asylgründe haben, zur Antirassismus-Industrie), zeigen so deutlich wie die Corona-Pandemie, dass der Mensch schlicht kein zivilisiertes Wesen ist, denn ein solches wäre wesentlich von der Vernunft geleitet.
Der neue Kulturkampf ist streckenweise schwere Kost. So ist es nicht gerade einfach, über die Gräueltaten der Hamas-Terroristen vom 7. Oktober 2023 zu lesen. Es spricht sehr für Susanne Schröter, dass sie uns (und sich selber) damit konfrontiert. Wer in der Folge noch bereit ist, für solche Angreifer Partei zu ergreifen, ist eindeutig nicht richtig im Kopf und kommt (aus Gründen, die mit ihrem sogenannten politischen Engagement überhaupt nichts zu tun haben – Angst, Neid, enttäuschte Liebe etc.) mit dem Leben nicht klar. Wobei: Wer kommt schon mit dem Leben klar? Eben. Doch nicht alle machen dafür Andersdenkende verantwortlich, auch sind nicht alle deswegen aggressiv, bar jeden Anstands und von Hass durchdrungen.
Der neue Kulturkampf ist ein wichtiges Buch, weil es mir, an konkreten Beispielen, ganz vieles in Erinnerung ruft, das mir gar nicht mehr präsent ist, von dem ich aber gerne hätte, dass es mir präsent bleibt, wie etwa der Schwachsinn der postkolonialen Theorie. Oder die vielen selbstherrlichen Studenten (fast ausschliesslich bei den Geisteswissenschaften), die sich schon zu meiner Zeit (um bei den Kommilitoninnen zu landen oder sich von anderen abzugrenzen oder sich wichtig zu machen) jedem Ideologie-Schmarren verschrieben.
"Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind die Grundlagen unserer Demokratie." Wir müssen uns dafür wehren, meint Susanne Schröter. Mir selber ist das zu wenig (das beste Argument gegen die Demokratie sei ein zehnminütiges Gespräch mit einem Durchschnittswähler, meinte Churchill), mir scheint, es geht um weit Grundsätzlicheres. Zu fragen wäre etwa, ob Integration wünschenswert, ob eine pluralistische Gesellschaft möglich, ob Menschen mit völlig konträren, oft religiös geprägten Auffassungen nicht besser getrennt bleiben sollten. Doch das wäre ein anderes Buch ...
Fazit: Nötige und nützliche Aufklärung. Ein überaus wesentliches Buch!
Susanne Schröter
Der neue Kulturkampf
Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht
Herder, Freiburg°Wien°Basel 2024
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