Sunday, 23 March 2025

Der ultimative Guide zu absolut allem*

Wenige Bücher machen mich bereits mit der Einführung jubeln, doch Der ultimative Guide zu absolut Allem* gehört eindeutig dazu. Das liegt an den Beispielen, anhand derer aufgezeigt wird, „wie schlecht der Mensch dafür ausgerüstet ist, das Universum zu begreifen“, und es liegt an Sätzen wie etwa diesem: „Wie man es auch dreht und wendet: Die Intuition ist ein miserabler Ratgeber."

Wir wissen zwar, dass vieles nicht so ist, wie es uns erscheint, doch erstaunlicherweise hilft dieses Wissen nicht, unsere Wahrnehmung anzupassen. Unsere Gewohnheiten sind stärker als unsere Erkenntnisse – so reden wir, wider besseres Wissen, nach wie vor davon, dass die Sonne auf- und untergeht.

Dieses Buch plädiert dafür, unser Primatenhirn auszuschalten und uns der Hilfsmittel zu bedienen, „die wir erfunden haben, um unsere evolutionär bedingten Blockaden zu überwinden.“ Darüber hinaus zeigt es, wie wenig wir unseren Instinkten vertrauen können, und ermuntert uns, „einen Weg zu finden, wie man herausfindet, was man nicht weiss.“ Zudem lehrt es, dass „die Bereitschaft, seine Meinung zu ändern, eine grosse Tugend darstellt (ganz generell, aber insbesondere in der Wissenschaft).“

Wissenschaft zu betreiben, bedeutet, genau hinzuschauen, Fragen zu stellen und auch sich selber in Frage zu stellen – was vielen Verschwörungstheoretikern unvorstellbarer nicht sein könnte. Wissenschaft zu betreiben, bedeutet auch, sich von seinen Vorstellungen leiten zu lassen und gleichzeitig bereit zu sein, sich von ihnen zu befreien.

Um zu verstehen, wer oder was wir sind, ist auch ein Blick auf unsere Vorfahren vonnöten. Wie alle Primaten sind wir hauptsächlich mit unserem Überleben und der Fortpflanzung befasst. „Der Grossteil unserer biologischen Hardware hat sich seit den Zeiten, in denen keine der hochfliegenden Ideen, wie unser Universum wohl gestrickt sein mag, irgend jemanden interessierte, so gut wie überhaupt nicht verändert.“

„Steinalt (noch älter als die Stones)“ lautet der Titel eines der Kapitel, das sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzt, vor wie langer Zeit die Erde entstanden ist. Es kommt darauf an, wen man fragt? Nein, Meinungen sind hier nicht gefragt. Das Zusammenspiel von Geologie, Chemie und Atomphysik liefert Daten, die Gesteinsbildungen von vor ca. 4,5 Milliarden Jahren annehmen lassen. Vorstellen kann ich mir das zwar nicht, doch was kann ich mir schon vorstellen?

Der ultimative Guide zu absolut Allem* ist reich an faszinierenden Geschichten über Ursprünge, Anfänge, die Zeit, das Leben, ja so recht eigentlich über so ziemlich alles, was neugierige Menschen eben so beschäftigt. Vor allem aber handelt es davon, dass „es ein sehr reales Universum gibt, das aus physischer Materie besteht und Regeln gehorcht, die jedenfalls auf dem grundlegendsten Niveau nicht verhandelbar sind.“ Gleichzeitig sind wir Menschen „wundersame Wesen, die mit ihren Erfindungen und Kenntnissen Zeit und Raum zu transzendieren vermögen. Und zugleich sind wir zutiefst fehlerhaft und absolut miserabel darin, dieses fantastische Universum so zu sehen, wie es wirklich ist. Der erste Schritt zur wahren Aufklärung und Erleuchtung besteht darin, sich genau dieser Tatsache bewusst zu sein.“

Dazu liefert dieses hervorragend geschriebene Buch mehr als nur einen überaus lehrreichen und vergnüglich zu lesenden Beitrag, es präsentiert ein Sammelsurium erhellender Geschichten, die sich auch dadurch auszeichnen, dass sie vermeintlich Widersprüchliches nebeneinander stehen lassen. So wissen wir in der Rückschau, dass jede Wirkung eine Ursache hat, haben jedoch nicht das Gefühl, dass unser künftiges Handeln von Vergangenem abhängt.

Eine der zentralen Fragen, um die es in diesem Buch geht, betrifft den Determinismus: Ist alles vorherbestimmt oder verfügen wir über einen freien Willen? Das Problem dabei ist, „dass wir ganz und gar schlecht gerüstet sind, um die Frage zu beantworten.“ Richard Feinman, Nobelpreisträger für Physik, hat es einmal so formuliert: „The first principle is not to fool yourself. And you are the easiest person to fool.“

So recht eigentlich weiss ich nie so recht, weshalb mir gewisse Sätze hängenbleiben und andere, von denen ich gerne hätte, dass sie mir hängenbleiben würden, nicht. So erinnere ich mich in einem Philosophie-Buch gelesen zu haben, dass Platon nie gelacht haben soll – eine bleibende Erinnerung. Ich vermute, dass mich auch die Ausführungen von Hannah Fry und Adam Rutherford über Kolumbus fortan begleiten werden. Sie beginnen so: „Dass Christoph Kolumbus von Selbstzweifeln geplagt gewesen wäre, kann man nun wirklich nicht behaupten.“

Sicher, auch ein Griesgram wie Platon kann mit vielem Recht haben, ich selber ziehe es jedoch vor, auf Humor-begabte Menschen zu hören. Mir dies wieder einmal bewusst gemacht zu haben, gehört zu den Vorzügen dieses ausgezeichneten Buches.

"Man is made by his belief, as he believes so he is“ heisst es in der Bhagavad Gita. Leider, will ich da nur hinzufügen, denn der Unsinn, den der Mensch zu glauben imstande ist, ist so recht eigentlich uferlos. Man ist deshalb froh, dass sich zum Ausgleich und als Orientierungshilfe Der ultimative Guide zu absolut Allem* anbietet. “Wir wissen, dass sie glauben, einen freien Willen zu haben. Wir glauben das ja auch. Aber was wir glauben und was wirklich zutrifft, das sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe.“ Am Rande: Wer an den bevorstehenden Weltuntergang glaubt, ist gut beraten, das Datum so festzulegen, dass er oder sie davon ausgehen kann, das mögliche Ausbleiben der Apokalypse nicht mehr mitbekommen zu müssen.

Der ultimative Guide zu absolut Allem* liefert wunderbar nützliche, höchst unterhaltsame und sehr englische, mit viel Witz gespickte Aufklärung, die es uns ermöglicht, die Dinge zu sehen wie sie sind, so wir denn die Bereitschaft mitbringen, dies überhaupt in Betracht ziehen zu wollen. Und wozu soll das gut sein? Es macht das Leben leichter ...

Hannah Fry & Adam Rutherford
Der ultimative Guide zu absolut Allem*
(*gekürzt)
C.H. Beck, München 2023

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