Unsere Wettbewerbsmentaliät verschont keinen Bereich unserer Gesellschaft, auch der akademische Betrieb ist in hohem Masse davon betroffen. Universitätsprofessuren sind begehrt, die Konkurrenz ist gross, die Fähigkeit, sich durch neue Themensetzungen zu profilieren, ist unabdingbar. Letzterer ist auch dieses Buch zu verdanken, und ich ärgere mich nicht wenig, dass mich der dem Marketing geschuldete Titel dazu verleitet hat, mich damit auseinanderzusetzen, denn der Erkenntniswert ist gering.
Dass Staaten für sich werben, um damit an Einfluss zu gewinnen, ist nichts Neues. "Dabei sind Staat und Nation keinesfalls dasselbe." Spätestens bei diesem Satz weiss ich, dass ich das gängige akademische Buch vor mir habe, das sich wesentlich in Definitionen, Abgrenzungen und Differenzierungen erschöpft. "Die historische Flugbahn und ideologische Struktur eines Landes spielen eine entscheidende Rolle bei dem Bemühen um seine Imagekontrolle. " Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand bezweifelt, denn die Aussage ist allgemein genug, um sich der Zustimmung aller sicher zu sein.
Die Autorin Jessica Gienow-Hecht, seit 2019 Professorin und Leiterin der Abteilung Geschichte am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin, gibt keineswegs vor, eine bahnbrechende Entdeckung gemacht zu haben und stellt erfreulich nüchtern fest: ""Dieses Buch hat eine einfache Kernbotschaft, die ich im Verlauf immer wieder darlegen und anhand von Beobachtungen überprüfen werde. Sie lautet: Seit dem Ersten Weltkrieg hat sich die Nation zu einem Markenprodukt entwickelt, das bis zum Fall des eisernen Vorhangs von staatlichen Regierungen erheblich 'bespielt' wurde."
Vom Staat zur Marke ist klar strukturiert, die einzelnen Kapitel werden jeweils am Kapitelende zusammengefasst, allerdings war mir das Ganze zu akademisch in dem Sinne, dass das "Es kommt drauf an-Stereotyp" (das selbstverständlich seine Richtigkeit hat) dominierte. "Natürlich unterschieden sich Botschaften, Zielgruppen und Erwartungen im Einzelnen abhängig von Land und Regierungsform."
Nichtsdestotrotz: Vom Staat zur Marke ist reich an konkreten Beispielen. Man lese etwa die detaillierten Ausführungen zu den Bemühungen der Region Katalonien, sich international zu positionieren, wozu auch die Repressalien des spanischen Staates beitragen. Letzteres macht auch deutlich, dass die Wahrnehmung einer Nation vor allem davon bestimmt wird, wie diese öffentlich auftritt. so sind etwa die Unterschiede zwischen Russland, China und den Emiraten eklatant.
Es sind die vielen überaus illustrativen Beispiele von gelungenem Nation Branding, die Vom Staat zur Marke lohnen, wie etwa die Trauerfeier für die Queen im September 2022, die gleichzeitig allerbeste Werbung für das britische Königshaus war. Die detailreiche Schilderung dieses Megaevents zeigt auch sehr schön auf, dass es die Details sind, die zählen. Übrigens: Das gelungenste Negativ-Branding weltweit kommt gegenwärtig von der Regierung der USA, das die Branding-Spezialisten natürlich positiv zu wenden trachten, indem sie das Verhalten des impulsiven Chaoten an der Spitze als strategic ambiguity zu labeln versucht.
"Die Herausforderung für Zivilgesellschaft und Regierungen besteht darin, gemeinsam und selbstbewusst ein authentisches und liberales, attraktives und vor allen Dingen widerstandsfähiges Markenprofil zu entwickeln und zu kommunizieren. " Allerdings könnte das so oder ähnlich auch in jedem demokratischen Parteiprogramm stehen. Und das ist mir dann doch zu wenig.
Jessica Gienow-Hecht
Vom Staat zur Marke
Die Geschichte des Nation Branding
Reclam, Ditzingen 2025
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