Rainer Moritz, geboren 1958, leitete 20 Jahre das Literaturhaus Hamburg, Was er mit Das Jahr in Büchern. Literaturtipps für jeden Tag vorlegt, ist genau das, was der Untertitel verspricht. Dass seine Auswahl eine subjektive ist, versteht sich von selbst; dass sie recht nüchtern geraten ist (viel Begeisterung habe ich jedenfalls nicht herausgespürt), muss kein Nachteil sein. Nicht nur als Orientierungshilfe eignet sich diese Auswahl bestens, sie macht auch neugierig, wenn auch nicht auf Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968 von Peter Handke, dem mit Abstand überflüssigsten Text in diesem Band.
"Die knappen – eine Seite pro Titel – Inhaltsangaben sollen Lust darauf machen, die eigenen Regale wieder einmal abzuschreiten oder Buchhandlungen, Antiquariate und Bibliotheken aufzusuchen." Ein Pädagoge also, der einem auch gleich noch sagt, was man alles tun soll! Ich selber habe mir meine eigenen Regale und mein Gedächtnis vorgenommen.
Richtiggehend entzückt hat mich, dass Autor Moritz auch Elf Freunde müsst ihr sein von Sammy Drechsel in seine 366 Literaturtipps aufgenommen hat, denn das war das allererste Buch, das ich richtiggehend verschlungen habe. Ich war damals fussballverrückt und von den Wilmersdorfern Schülern und ihren fussballerischen Vorbildern richtiggehend hingerissen.
Unter den in diesem Band empfohlenen gibt es etliche Werke, die ich in allerbester Erinnerung habe. Darunter Kleine Dinge wie diese von Claire Keegan, das ausgesprochen sensibel von der Frage handelt, ob man einschreiten oder sich abwenden soll, wenn man mit Unrecht konfrontiert ist. Demon Copperhead von Barbara Kingsolver, einer dieser seltenen Romane, die einen mehr über das (Über)leben lehren, als Schule und Medien zusammen. Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara, das eindrücklich die menschliche Tragik in Worte fasst, dass wer andern helfen kann, häufig nicht in der Lage ist, sich selber zu helfen oder helfen zu lassen.
Von ganz vielen, der in diesem Band versammelten Werke kenne ich gerade einmal die Titel oder die Namen der Autorinnen bzw. der Autoren; von anderen hatte ich noch gar nie gehört, darunter auch von Vielleicht die letzte Liebe von Rainer Moritz selber, das auch davon handelt, dass "der tagtägliche Umgang mit dem Tod Bernard nicht zu einem depressiven, sondern zu einem gelassenen Menschen (macht), der mit der konfus gewordenen Welt besser zurechtkommt." Wunderbar! Wer darauf nicht neugierig wird, dem ist nicht zu helfen.
Ganz besonders zugesagt hat mir, dass der Autor sich nicht mit Genre-Grenzen aufgehalten hat, sondern quer durch den Garten Bücher empfiehlt. Von Krimis wie Nobels Testament von Liza Marklund zu Die Lady im See von Raymond Chandler zu Romanen von Richard Yates, Graham Swift sowie GB84, dem aussergewöhnlichen Zeitdokument von David Peace.
Auch Klassiker kommen übrigens nicht zu kurz. Das geht von Winternacht von Joseph von Eichendorff über Nicht nur zur Weihnachtszeit von Heinrich Böll zu Immensee von Theodor Storm. Zu erwähnen gehört aber auch eines meiner nachhaltigsten Leseerlebnisse überhaupt: Trauriger Tiger von Neige Sinno, von dem der Autor treffend schreibt, es sei "ein flammendes, nie um Mitleid heischendes Plädoyer für die Opfer und gegen die Verharmlosung der hemmungslosen Täter."
"Wer (Sarah Bakewells Café der Existenzialisten angenehm berauscht verlässt, fühlt sich klüger als beim Betreten – und gut unterhalten." Das trifft auch für Das Jahr in Büchern zu.
Rainer Moritz
Das Jahr in Büchern
Literaturtipps für jeden Tag
Reclam, Ditzingen 2025
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