Das erste Gespräch in diesem Band stammt aus dem Jahr 1975, das letzte aus dem Jahr 2016. "Ich bin, glaube ich, ein Typ, der alles, was er hört, irgendwie in sich aufnimmt. Ich suche nicht gross rum, ich suche nicht nach bestimmten Sachen", so Springsteen 1975. Und: Er sei ein Songwriter, kein Dichter, er schreibe Song-Texte. Das Komponieren habe er nicht gelernt. "So was lernt man nicht. Ich weiss nicht – lernen ... Ich glaube nicht ans Lernen. (Lacht.)." Unprätentiös, direkt, klar. Keine Bedeutungshuberei mittels Worten.
Ein unglaublicher Drive, eine intensive Präsenz, ein elektrisierender Beat – so habe ich seine Musik immer erfahren. Von Rosalita und Born to Run konnte ich einst nicht genug kriegen. Das war das Leben, das vibrierte und mich packte, ganz im Gegensatz zu meinem damaligen Jurastudium. Dieser Sound stand für eine andere, aufregende Realität; er repräsentierte ein einzigartiges Aufbruchsgefühl, das dann leider vom Kapitalismus aufgesaugt und vermarktet wurde.
Insgesamt sieben Gespräche umfasst dieser Band. Das für mich eindrücklichste fand 1975 statt, "mit einem schwedischen Interviewer", wie es heisst. Springsteen ist zu der Zeit gerade mal 26 Jahre alt, weiss genau, wer er ist, was ihn ausmacht und was er will. Das ist selten in diesem Alter (jedenfalls meiner Erfahrung nach). Ob er Pessimist sei? "Finde ich eigentlich nicht, ich halte mich für ziemlich optimistisch. Es gibt nur einfach keine richtigen Lösungen. Es gibt jede Menge falscher Antworten und falscher Lösungen, aber richtige gibt es nicht. Deshalb sind die Songs auch so lang. Sie haben keinen Anfang und kein Ende, denn so ist das Leben. Es gibt nur den Alltag, Momente. Ereignisse. Eben nicht: Und dann ist er gestorben. So was gibt es bei mir nicht. Es geht immer weiter. Es geht weiter und weiter und weiter. Die Songs sollen alle einfach ausklingen – im Grunde sollten sie gar nicht aufhören."
Besonders spannend an diesem Gespräch ist, dass es wirklich ein Gespräch ist und nicht die zumeist uninspirierte Abfragerei, die Interviews häufig kennzeichnet (Wie haben sie sich damals gefühlt?). So schildert der Fragesteller ausführlich, was ein Konzert in einem Club, bei ihm auslöste und was er im Publikum beobachtete. "Im Troubadour wirkte es, als kämpfte der Künstler mit seiner Kunst; bei anderen Konzerten scheint der Künstler seine Kunst zu performen." Worauf Springsteen erwidert: "Ja, das trifft es. Das ist der Unterschied. Im Troubadour war es wirklich ein Kampf, durch den Set zu kommen."
Dieses erste Gespräch ist für mich das ergiebigste dieser aufschlussreichen Gespräche, da es von der Art von Intensität geprägt ist, die Springsteen als Person ausmacht. Von seinem katholischen Aufwachsen ist da die Rede, von dem Sich-Beweisen-Müssen. Bei dieser Auseinandersetzung mit existenziellen Lebensfragen findet ein wirklicher Austausch statt. Beeindruckend und hilfreich.
Springsteen verfügt über Überzeugungen, die man heutzutage selten antrifft. Doch auch damals, als es mit seiner Band anfing, war das selten, dass jemand nicht tat, was von ihm erwartet wurde, sondern ganz einfach sein Ding machen wollte, gut machen wollte. So eigensinnig er auch war, nur bei dem, was ihm wichtig war, ging er keine Kompromisse ein. "Als ich noch jobbte, habe ich das Haus grün gestrichen, wenn jemand es grün haben wollte. Aber wenn ich Musik mache, will ich es auf meine Art machen, und zwar voll und ganz. Oder ich lasse es bleiben."
In einem Gespräch aus dem Jahre 1992, gesteht er, dass wenn er auf der Bühne stand, es ihm schwer fiel aufzuhören, weshalb auch die Konzerte so lange dauerten. "Ich konnte schlicht nicht aufhören, bis ich erschöpft war, und zwar völlig." So geht Sucht. Er macht eine Therapie und erkennt: "Man muss sich dem öffnen, wer man eigentlich ist, und ich war ganz sicher nicht der Mensch, für den ich mich gehalten hatte."
Springsteen, so lerne ich unter anderem, erkennt sich auch in Ralph Ellisons Roman Der unsichtbare Mann, der bei mir schon lange ungelesen im Regal steht und ich jetzt unverzüglich zur Hand nehme, denn "Ellisons Held greift nicht aktiv in die Welt ein. Er möchte, dass sich die Dinge ändern, aber er ist in erster Linie Zeuge, Zeuge von sehr viel Blindheit." Diese Gespräche geben Gegensteuer und werfen Licht auf unsere Art und Weise zu leben.
Bruce Springsteen
Born to Sing
Ein Leben in Gesprächen
Kampa, Zürich 2024
No comments:
Post a Comment