Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist eine wahre Freude, dieser höchst beeindruckend gestaltete Band. Unvermittelt geht einem der Begriff Buchkunst durch den Kopf – und das ist selten genug. Natürlich fragt man sich auch, woher der Mensch das eigentlich wissen kann, was er in diesem Werk so alles antrifft. Etwa, dass seit dem Urknall (vorausgesetzt, den hat es auch wirklich gegeben!) 13.8 Milliarden Jahre vergangen sein sollen. Zur Zeit geht man davon aus, dass das Universum vermutlich aus 2000 Milliarden Galaxien besteht, darunter die Milchstrasse, die 100 bis 400 Milliarden Sterne enthalten soll. Zugegeben, meinen Horizont übersteigt dies bei weitem, und ob es etwas anderes ist, als ein Ausdruck unserer Art zu denken, weiss ich auch nicht, doch faszinierend und anregend ist es ohne Frage.
Mich begeistert dieses Werk geradezu. Das hat viel mit der Bandbreite der Themen zu tun, die auf diesen Seiten beleuchtet werden. Das geht von der Solarenergie zum inneren Aufbau der Erde, von historischen Vulkanausbrüchen zur Erdatmosphäre, vom Kreationismus und Evolutionismus zur Geschichte der Urgeschichte. Ich habe diese Themen ganz willkürlich ausgewählt; überhaupt gehe ich dieses Werk ganz unsystematisch an: Man kann es irgendwo aufschlagen und wird garantiert gepackt.
Hängengeblieben bin ich zum Beispiel bei den tropischen Wirbelstürmen, die je nach Weltlage als Hurrikane, Taifune oder Zyklone bezeichnet werden und meist in der Nähe des Äquators ihren Anfang nehmen. "Damit ein tropischer Wirbelsturm entstehen kann, muss die Wassertemperatur bis in eine Tiefe von mindestens 50 Metern über 26° betragen. Die warme, feuchte Luft steigt in die Höhe und kondensiert zu Wolken. Während sich die Luft abkühlt, setzt sie Wärme frei, was zu starken Winden führt, die wiederum über die warme Meeresoberfläche wehen, wodurch sich das Phänomen weiter verstärkt." In jüngerer Zeit forderten einige Taifune mehr als 100 000 Tote: 1995 Mina in China, 1991 Gorky in Bangladesch, 2008 Nargis in Myanmar.
Eine weitere Doppelseite ist mit "Die Vielfalt der Sprachen im 15. Jahrhundert" überschrieben und zeigt wie die Herrschaftsgebiete die Sprachräume prägen. In der Folge führte die geopolitische Zersplitterung zu einer Ausdifferenzierung der Sprachen. "Besonders ausgeprägt ist dieses Phänomen dort, wo die Populationen stark abgeschottet leben, wie etwa auf Inseln. Auf den Philippinen gibt es siebzig verschiedene Sprachen, auf dem indonesischen Archipel über zweihundert und auf Neuguinea, Melanesien und Polynesien sogar mehrere tausend." Nicht zum ersten Mal frage ich mich, woher man das eigentlich wissen kann.
Die Fülle der Informationen, die hier ausgebreitet wird, lässt mich ständig staunen, nicht zuletzt darüber, was ich alles nicht weiss bzw. mir neu ist. Schon erstaunlich, worüber man alles noch gar nie nachgedacht hat. Klar doch, ich spreche von mir, doch ich gehe nicht davon aus, dass ich eine Ausnahme bin, auch wenn bekanntlich jeder Mensch ein Universum für sich darstellt. So habe ich etwa noch nie über die strategische Bedeutung der Meere nachgedacht. Auch habe ich Epidemien bislang nie als hygienische Herausforderungen wahrgenommen. Die Tatsache, dass mittlerweile weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben, hat mich hingegen immer mal wieder beschäftigt, allerdings unter ganz anderen als den hier aufgeführten Gründen.
Die Geschichte der Welt. Ein Atlas ist vor allem ein Dokument der Vielfalt, für die auch kennzeichnend ist, dass der Mensch nicht wenig Mühe hat, damit klarzukommen. "Die Rassentheorien wurzeln in alten Vorurteilen und in dem Versuch, die menschliche Vielfalt zu erklären." Unter dem Titel "Grosse Wanderer" erfahre ich etwa, dass Schmetterlinge zum Überwintern von Kanada nach Mexiko fliegen. Von den Säugetieren (darunter die Menschen und die domestizierten Tiere) wird mir gesagt, dass sie nur eine Minderheit unter den Lebewesen ausmachen. Und und und ...
Dieser Atlas steckt nicht zuletzt voller Überraschungen. "Die Menschen konsumieren schon Alkohol, als sie vom Vorgang der Gärung noch kaum etwas verstehen." Archäologisch nachgewiesen wurde die Herstellung von Alkohol um 11 000 vor unserer Zeit. Oft gibt es eine Verbindung zum sakralen, auch dient er zur Behandlung von Schmerzen und Infektionen, doch natürlich macht er, im Übermass konsumiert, auch krank.
Die Geschichte der Welt. Ein Atlas ist chronologisch aufgebaut, startet mit "Vom Urknall zum Planeten Erde" und endet mit "Der überlastete Planet". Die ganz unterschiedlichen Themenbereiche werden jeweils auf Doppelseiten erläutert. Die meisten Doppelseiten haben einen weissen Hintergrund, doch gibt es auch solche mit einem schwarzen Hintergrund, auf denen historische Augenblicke der Wissenschaften wie etwa die Sintflut oder das Anthropozän vorgestellt werden.
Fazit: Eine bereichernde, hilfreiche und nötige Horizonterweiterung vom Feinsten
Christian Grataloup
Die Geschichte der Erde
Ein Atlas
C.H. Beck, München 2024
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